Herr Dany


Herrn Dany spürte ich auf, als ich aus dem Fenster sah. Ich stand im ersten Stock von Haus 50 der Domack-Kaserne. Gelegentlich stromerte ich über das Gelände, um es zu erkunden. Und dabei war mir aufgefallen, dass die östliche Begrenzungsmauer des Geländes im spitzen Winkel zur Autobahn verläuft. Dahinter musste ein Grundstück liegen, dessen Existenz ich aber nur schlussfolgern konnte. Denn die Mauer ist zu hoch, um darüber zu schauen. Ich lehnte mich soweit aus dem Fenster, wie ich konnte und bemerkte: Der spitzwinklige Streifen gehört zu einer Kleingartenanlage. Das Imkergrundstück. Seit einiger Zeit weist die Stadt in ihren Schreberanlagen solche Bereiche aus. Auch an mich war man in dieser Angelegenheit herangetreten, weil für die Anlage Aubing-Süd niemand gefunden worden war. (...) Hier liegt der Streifen am Ende eines langgestreckten Dreiecks. Alle Rasenflächen sind synchron gemäht, die Häuschen frisch gestrichen, überall Freistaat-Bayern-Schilder und Deutschlandfahnen.
Herr Dany hatte sich auf seinem Grundstück völlig verbarrikadiert. Eine riesige Hecke, die Autobahn und die Mauer zur Kaserne. Das bedeutete, dass ich so lange gegen eine mannshohe, einbruchsichere Tür hämmern musste, bis er sich bemüßigt fühlte, zu öffnen. Er wirkte eigenbrötlerisch oder wie jemand, der Leichen in seinem Garten vergraben hat und die Polizei draußen halten will. Er gab mir ständig das Gefühl, unerwünscht zu sein. Allerdings wollte ich aus der Nähe sehen, was er dort trieb, stieß unbeirrt zu seinen Stöcken vor und stellte aufdringlich so lange meine Fragen, bis er sie ausreichend beantwortet hatte. (...) Es gibt kaum einen Imker, der einem solchen Interesse widerstehen könnte. Herr Dany pflegte eine besondere Betriebsweise, die ich vorher nicht gekannt hatte, nämlich indem er zwei Völker in einem Kasten hielt. Jedes Volk hatte sein eigenes Flugloch, aber sie teilten sich einen Honigraum, der in der Mitte lag und jeweils durch ein Absperrgitter getrennt war. Die Kästen hatte er selbst entworfen und gebaut. Sie hatten einen hohen, gewölbten Deckel zum Aufklappen und das Dach war mit Blech beschlagen, so dass der Regen herab rinnen konnte. Geschlossen sahen sie aus wie kleine Flugzeughangars mit Tonnendach. Der Aufbau schien logisch. Vor allem, dachte ich, was den Wärmehaushalt im Winter betrifft. Außerdem wurde, wie Herr Dany sagte, der Honig besonders schnell eingetragen. Ebenfalls logisch, wenn zwei Völker daran arbeiten. Denn sein Anliegen war, Sortenhonig herzustellen. Seine Bienen beflogen vorwiegend die Hirschau, sowie die Ränder von Englischem Garten und Isar-Auen. Er erntete Kleehonig, Mischblütenhonig und Waldhonig. Und Lindenhonig sowieso. Außerdem, sagte er, Akazienhonig. Was aber, wie ich heute weiß, bei uns nur in Ausnahmefällen möglich ist. Wegen der regelmäßig schlechten Witterung anfang Juni. Ein kräftiger Windstoß, ein Regenguss und die Robinienblüte ist dahin. Die Robinie ist eine Pseudo-Akazie. Der Begriff Akazienhonig hat sich trotzdem festgesetzt. Herr Dany hatte eine ganze Menge doppelter Kästen dort stehen, allerdings nicht im Block, sondern übers Grundstück verteilt. Und an anderen Standorten, sagte er, habe er noch viele mehr. Sodass auch die Garchinger Heide und die Panzerwiese dazu kämen. Er erklärte mir alles. Dann war ihm recht, dass ich wieder ging.

Als ich Franz davon erzählte, war klar, dass er Herrn Dany kannte. „Ja“, sagte er, „der Dany“ und wiegte seinen Kopf zweifelnd hin und her. Eine ähnliche Betriebsweise ist auf einem Foto aus Dobrudscha zu sehen. Franz zeigte es mir im Bienenlexikon. Es handelt sich um eine Lagerbeute, in der immer waagrecht erweitert wird. Allerdings summierte er sofort die Mängel und rechnete sie mit den Vorteilen der Magazinbeute gegen. Was ihm Herrn Dany (...) obskur machte, ist ein geheimnisvolles Behandlungsmittel gegen die Varroamilbe, das dieser herstellt und vertreibt: „Danys Bienenwohl. Restentmilbung im brutlosen Volk.“ Er wirbt dafür seit Jahren in der Bienenzeitung. „In Österreich schon zugelassen“, heißt es, und „weltweit bewährt“. Es sei biologisch und verspricht 96 % Erfolg. Franz hatte es wahrscheinlich getestet. Er forderte die Kataloge aller großen Versände an und forstete nach „revolutionären“ Methoden der Milbenbekämpfung. Wenn eine Sache nicht völlig absurd klang, probierte er sie aus. Meist hatte ein Versuch dieselbe Verlaufskurve: Franz setzte das neue Mittel ein, er gab der Behauptung eine Chance, sich zu beweisen. Dann wirkte das Zeug nicht ausreichend und er kehrte befriedigt zu seiner hergebrachten harten Medikation zurück. Auch Bienenwohl war diesen Weg gegangen. Vermute ich. Denn seither hielt Franz Herrn Dany für einen Scharlatan. „Alles Blödsinn“, war das abschließende Urteil, „nur Geldschneiderei“. Was die Milbe betrifft, verstand Franz keinen Spaß.

aus den Honiggeschichten