Missweisungen


Karl von Frisch löste mit seinen neuartigen Berichten zum Bienentanz einen Begeisterungssturm aus. Aus heutiger, nüchterner Sicht könnte man sagen: Alle Welt war entzückt, dass Bienen tanzen. Dafür überreichte man Herrn von Frisch, der diese Entdeckung im Jahr 1927 veröffentlicht hatte, den Nobelpreis. Das geschah jedoch erst im Jahr 1973, Karl von Frisch war zu dieser Zeit bereits 87 Jahre alt. Von Frisch, ebenfalls nüchtern, schrieb später, dass seine eigentliche Entdeckung sich zwar auf Bienen bezogen habe, jedoch eine andere gewesen sei und er den Nobelpreis zwar zu Recht erhalten habe, jedoch für die falsche Sache. (Es handelte sich ebenfalls um eine Missweisung.) Karl von Frisch bezeichnet den Unterschied zwischen dem geografischen und dem magnetischen Nordpol als Missweisung.

Das Handbuch für Bienenkunde widmet der Orientierung der Bienen (und anderer Tiere) und den entsprechenden Organen ein Kapitel von über acht Seiten: Die Missweisungen werden dort als notgedrungener Übersetzungsfehler gedeutet. Eine Sammlerbiene liefert im Stock Honig ab und führt im Dunklen einen Tanz auf, der aber wegen der hängenden Waben ins Senkrechte und wegen der Ausrichtung der Waben seitlich verdreht ist. Kaum ein Bienenstock steht so, dass seine Wabengassen in Ost-West-Richtung verlaufen. Der Imker passt die Aufstellung einerseits der empfohlenen Himmelsrichtung an, das wäre Süd-Süd-Ost, andererseits den Gegebenheiten des Geländes. Folglich muss die Biene ihre Tanzebene zusätzlich drehen. Hinzu kommt die Tagesperiodik des Magnetfeldes. Es pendelt jeweils gleichmäßig innerhalb eines Bereichs von etwa 15° diesseits und jenseits der Nullinie. Um das aufzufassen, benötigt die Biene einen Zeitsinn. Die Informationen werden übermittelt, indem die Bienen, die informiert werden sollen, die Achterschleifen der Informantinnen nachahmen. Doch würden sich die Nachtänzerinnen bei der anschließenden Futtersuche eins zu eins danach richten, kämen sie falsch an. Die neu Informierten rechnen das Fehlerhafte zurück ins Richtige. Um wieviele Ebenen die Information gebrochen ist und rückgeführt wird, wie die Orientierung am polarisierten Sonnenlicht und an landschaftlichen Gegebenheiten stattfindet und wie aus all dem eine Richtungsweisung wird, blieb mir lange verborgen. Man kann nur festhalten, dass Bienen den Zeitsinn, den Schweresinn, den Bewegungssinn, die Orientierung am Magnetfeld, am Sonnenlicht und an der Landschaft dazu verwenden und schließlich noch von Duft und Farbe der Blüten gelenkt werden.
Karl von Frisch widmete seine Forschung den Sinneswahrnehmungen der Tiere, vornehmlich der Bienen. Er gliederte die einzelnen Bereiche, Tasten, Schmecken, Riechen und so weiter und versuchte, sie bestimmten Organen zuzuordnen. Mithilfe seiner erstaunlichen Versuchsanordnungen, die bereits ein tieferes Verständnis erfordern, erlangte er Kenntnisse, über welche Bereiche sich die Wahrnehmungen erstrecken, welche Farben beispielsweise die Bienen sehen können. Er entdeckte, dass sie ultraviolettes Licht sehen, wodurch sich ihr Farbspektrum gegenüber dem des Menschen erheblich verschiebt.

Bild Bienenpurpur

Für sie wirkt ein grüner Hintergrund, den wir eindeutig als farbig erkennen, einfach wie ein lichtes Grau mit leicht gelblicher Einfärbung. Für uns käme das beinahe dem Farblosen gleich. Dem gegenüber leuchten ihnen einige der Blüten, die uns weiß erscheinen, nicht nur deutlich farbig auf und in gänzlich anderen Farben als uns, sie bilden dadurch einen scharfen Kontrast zum Farblosen. Und noch mehr, denn beispielsweise in den für uns einfarbig gelben Blüten des Kriechenden Fingerkrautes erkennen sie ein sogenanntes Saftmal. Dem menschlichen Auge ist das vom Vergissmeinnicht bekannt, ein gelber Ring in blauer Umgebung. Das Saftmal verleiht der Blüte zusätzliche Leuchtkraft, es erleichtert dem Saugrüssel den Weg zu den Nektardrüsen und -das kommt hinzu- es riecht kräftiger, als der äußere Teil der Blüte. Auch das ist durch Versuche nachgewiesen. „Bienen riechen plastisch“, heißt es bei Karl von Frisch. Die inneren Elemente einer Blüten strömen einen stärkeren, vielleicht würzigeren Duft aus, als die äußeren. Und während unsere Nasen das nicht erspüren können, da der Luftstrom darin verwirbelt wird und die unterschiedlichen Düfte sich vermischen, können Bienen mit ihren Fühlern fein unterscheiden und werden zum Nektar hin dirigiert.

Im Lexikon der Bienenkunde las ich, dass es bis zum Erscheinen des Buches im Jahr 1987 fraglich war, ob die heimkommenden Bienen in der Duftlenkung von den sterzelnden Bienen ihres Stockes angezogen würden. Diese erzeugen mithilfe einer bestimmten Drüse eine Duftwolke, die zunächst der jungen Königin, die sich auf dem Paarungsflug befindet, und den Jungbienen, die sich einfliegen, als Anflughilfe dient. Das bedeutet, dass sich die Gerüche, die die Stöcke während der Trachtzeit verströmen, unterscheiden. Von unseren grob konstruierten Nasen ist das nicht wahrnehmbar. Andererseits finden auch die Sammlerinnen zuverlässig den eigenen Stock. Ihnen helfen beim Anflug die Orientierung am polarisierten Sonnenlicht, die am Magnetfeld, die an der Landschaft und schließlich die farbigen Anflugbrettchen. Verstellt man einen Bienenstock um einen Meter, suchen die heimkehrenden Sammlerinnen danach an dem Platz, wo er vorher stand. Dieses Prinzip nutzend macht man übrigens Ableger. Andererseits gibt es Wächterbienen an jedem Flugloch. Falls sie, wie vermutet wird, die zurück kommenden Bienen an ihrem spezifischen Geruch erkennen, was bedeutet, dass diese den Stockgeruch an sich tragen, vermute ich im Umkehrschluss, dass er zur Identifizierung stockeigener Bienen benutzt wird. Eine Ausnahme bildet das Verfliegen der Bienen. Denn eine, die Honig mitbringt, wird eingelassen. Es wird bislang als Fehlleistung gedeutet.
Ich war auf den Sachverhalt der Missweisung im Zusammenhang mit den Sinnesorganen gestoßen, die die Bienenorientierung leisten. Wie ich durch die Zeichnungen zur Bienenanatomie feststellte, sitzt im vorderen Bereich des Hinterleibes, das heißt kurz nach dem engen Durchgang, ein Kompassorgan. Es ist mit mikroskopisch winzigen, eisenhaltigen Kristallplättchen bestückt, die sich, da sie voneinander isoliert beweglich gelagert sind, entlang des Erdmagnetfeldes ausrichten.

(Zeichnungen Tanzbahnen auf Sechseckmuster)

Die Euphorie, die Karl von Frisch auslöste, überraschte ihn möglicherweise selbst. Das Wort Tanz verband man damals so sehr mit dem Menschen und seinen amourösen Neigungen, mit Nachtclubs, Flirts und Foxtrott, später mit Jive und Boogie Woogie, dass man die kleine Biene wie durch eine gigantische Lupe betrachtete, in deren Sichtfeld hinein alle neugierig die Hälse reckten. Mit dem Bienentanz, den man sich ein wenig wie einen streng festgelegten frühen Renaissancetanz vorstellen kann, werden Auskünfte übermittelt, wie weit entfernt und in welcher Richtung eine Nahrungsquelle liegt. Die Bienen bewegen sich in liegenden Achter-Schleifen, deren mittlere Achse wellig ist und in die gewünschte Richtung zeigt. Außerdem gibt es einen Rundtanz. Wie in der Frührenaissance wird die Auskunft von Tänzerin zu Tänzerin durch praktische Nachahmung weitergeleitet.


Für mich stellt sich an dieser Stelle die Frage nach den Gefühlen. Denn diese benötigen, um entstehen zu können, die Sinneswahrnehmungen.



Alpenblumen


Durch Zufall, vielleicht während eines Flohmarktgangs, geriet ich an das Buch Alpenblumen. Es heißt darin, dass die Gewächse der Hochlagen mehr mit ihren Verwandten in der arktischen Tundra gemeinsam haben, als mit den hier heimischen. Das Buch spricht von einem möglichen Klimawandel und erschien bereits im Jahr 1977.



Die Arbeit besteht aus möglichst hell gehaltenen, schwarzweißen Kopien der Blüten im Buch, einige waren vergrößert beziehungsweise dem Format DIN A 3 angepasst. Und diese alle kolorierte ich mit Buntstiften nach der Vorlage im Buch. Während der Schulzeit, mindestens zwanzig Jahre zuvor, hatte mir jemand ein dreißigteiliges Buntstiftset geschenkt. Das verwendete ich. Die Arbeit bezieht, wenn man sie genau betrachtet, die unterschiedlichen Ebenen des Abbildens in sich ein. Final ist es so, als drehe man sich einmal im Kreis.

(Fotos REH_?: Verschiedene Alpenblumen)

Es war ein warmer, gleichmäßiger Frühling und kein zu heißer Sommer, und ich arbeitete vorwiegend im Garten. Dort saß ich und strichelte auf den Blättern herum. Den schwarzweißen Untergrund kann man kaum mehr ausmachen, zehn bis fünfzehn Schichten Farbe überdecken ihn.

(Foto: Tisch im Garten)


Für die höheren Lagen existiert bei uns eine eigene Bienenrasse, von der im Film more than honey die Rede ist. Sie heißt apis nigra und ist nicht zu verwechseln mit der apis nera, die im großen Stil auf den Liparischen Inseln rückgezüchtet wird. Diese war früher auf Sizilien heimisch, wurde jedoch von einer anderen Rasse vertrieben, ich vermute, es war die carnica. Der Vorteil der nera-Rasse ist, wie ich hörte, dass sie zweimal pro Jahr in Brut geht, genau zu der Zeit, wenn es auf Sizilien regnet und die Pflanzen blühen. Allmählich soll sie nun ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet rückerobern. Diese Maßnahme wird vom slow-food-Verband in Italien finanziell unterstützt.
Die Alpen sind das natürliche Habitat der nigra. Das hat gute Gründe, denn sie geht spät in Brut. Das ist auf den örtlichen Bewuchs abgestimmt. Mich erstaunte, als ich das Buch durchblätterte und die darin abgebildeten Pflanzen sah, dass ich einigen, außer natürlich Glockenblumen und Krokussen, und den Lilien, dem Löwenzahn, den Karthäusernelken, nie zuvor begegnet war. Um die dazu gehörige Biene kümmern sich die beheimateten Imker. Darüber hinaus ist sie kaum bekannt. Als zähe Gebirgsrasse eignet sie sich nicht für das flache Land.

(Fotos REH_?: Verschiedene Alpenblumen)

Vom imkerlichen Standpunkt her ist die Alpenblumen-Arbeit nicht besonders wichtig, speziell was die Eigenart ihres Aufbaus betrifft. Sie kreist ja in sich und stellt keinen aktiven Bezug zu den Bienen her. Dennoch ist sie hier aufgenommen. Das hat mit der Verschränkung von Bienen und Blumen zu tun. In zahlreichen Büchern, vor allem in älteren, ist davon stets am Anfang die Rede. Meistens wird Goethe zitiert, der einen kleinen Zweizeiler geschrieben hat, dessen Schluss lautet: „ ... sie müssen füreinander sein.“ Detailierte wissenschaftliche Kenntnisse über das gesamte Ausmaß der Verschänkung sind, soweit ich weiß, erst in den Zwanziger oder Dreißiger Jahren hinzu gekommen. In diesem Zusammenhang hat mich die Hummelragwurz erstaunt. Sie ist eine wilde Orchidee, die auf halbtrockenen, lößhaltigen Böden wächst, sehr selten vorkommt und in ihrer Form den bestäubenden Hummeln nicht gleicht, aber sie dennoch anatomisch anspricht.

(Foto: Stehende hölzerne Stempelbuchstaben auf Arbeitstisch)

Parallel fertigte ich zum ersten Mal im großen Stil eine Stempelarbeit. Schließlich brachte ich beide in Zusammenhang und stellte sie zusammen aus. Ich hatte die Rathausgalerie zur Verfügung bekommen und bat zwei Künstler, die ich kannte, hinzu.

Imkerregal


Die umfangreiche Bestückung des Regals war von einer Firma für Imkereibedarf ausgeliehen. Ich hatte zunächst mit der Hauptstelle in der Rheinpfalz verhandelt, dann bekam ich bei einem kleinen Laden nördlich von München die Erlaubnis, mir für einen Monat soviel zu borgen, wie ich brauchte. Der Einfachheit halber nahm ich von jedem Gegenstand ein Stück. Kein Imker hat übrigens Verwendung für all diese Geräte. Die meisten werden nur das grundlegende Rüstzeug besitzen. Als ich anfing, Bienen zu halten, hatte ich einen Stockmeißel, einen Wabenheber und einen Schmoker, ein Rauchgerät also. Erst nach und nach kaufte ich mir Kübel, Schleuder und Rähmchen zusammen, und selbst dann besaß ich kaum ein Zehntel dessen, was im Regal lag.





Aus den Geräten lässt sich konstruieren, worin das Tätigkeitsfeld des Imkers besteht. Während der Ausstellung konnte ich beobachten, wie Besucher neugierig das Regal umstanden und darüber debattierten, wofür die einzelnen Elemente gebraucht werden mochten. Eine überwiegende Reihe von Gegenständen sperrt sich der einfachen Entschlüsselung. So ist allgemein zwar klar, dass es sich um Imkerbedarf handeln muss, das zeigt auch der Titel an, im Einzelnen bleiben die Utensilien in ihrer Verwendung aber rätselhaft.
Die Herkunft der Gerätschaften, die das Berufsbild Imker aufspannen, hat, wie ich meine, zweierlei Wurzeln. Zum einen finden sich Gegenstände, die für bestimmte Erfordernisse entworfen wurden. Sie sind aus einem Bastelgestus entstanden, sie folgen einfach der Spur des Notwendigen, und danach sind sie ohne erhebliche formale Glättung in Serie gefertigt worden. Sie strahlen, kann man sagen, einen vorindustriellen Charme aus. Die übrigen Geräte sind fremden, manchmal sehr weit entfernten Tätigkeitsbereichen entlehnt. Das maximale Beispiel ist der Baustellenquirl, mit dem anstatt Beton nun Honig gerührt wird. Ein anspruchsvolleres Element ist ein kleiner Transformator, der bei Modelleisenbahnen zum Einsatz kommt. Die meisten Imker ziehen einen Edelstahldraht mittig in die Holzrähmchen, die neue Waben ergeben sollen. Mithilfe der Transformatoren wird der Draht erhitzt und wächserne Mittelwände eingelötet.





Wie es scheint, gehen Imker erfinderisch und unkonventionell mit Material um, und natürlich fragt man sich, woher das kommt. Denn Imker sind nicht unbedingt Revolutionäre. Vielleicht spielt die Herkunft der Bienenhaltung aus dem landwirtschaftlichen Nebenerwerb eine Rolle. Heute wird die Imkerei überwiegend als Hobby oder im Nebenerwerb betrieben, selten hauptberuflich. Normen und Regeln kommen aus der Sache, aus den Notwendigkeiten, die die Bienen setzen. Von außen, und schon gar vom Gesetzgeber lässt sich keiner gern dreinreden. Die Imkerei ist noch immer eine Nische. Jeder darf Bienen halten und eigenen Honig verkaufen. Es gibt keine Zertifikate und obwohl es möglich ist, üben nur die wenigsten die Imkerei im Lehrberuf aus. So bastelt jeder sozusagen mit eingezogenem Kopf vor sich hin.