con ape sì vola





Als ich ein Kind war, hantierte die Mutter oft mit Schnittmusterbögen. Man bekam sie –glaube ich- in Frauenzeitschriften für die modische Kleidung der Saison. Später bemerkte ich, dass es auch gebundene Bücher davon gab. Es steckten dann jede Menge Anzüge und Kleider darin, die damals gefragt waren. Da das dicke Buch in ausreichend hoher Auflage gedruckt war, musste die Bekleidung im weitesten Sinn zeitlos sein, das schien klar, aber dank der Revival-Moden wissen wir heute, dass Zeitlosigkeit nur innerhalb eines begrenzten Zeitraumes gegeben ist. Danach kommt der loop und es geht zurück auf Los.
Im Schnittmusterbogen wurde das dreidimensionale Kleidungsstück in der Fläche konzipiert, indem man sich vorstellte, verschiedene Stoffe an den Rändern zusammen zu nähen. Wie es heute ist, kann ich nicht sagen, aber die damaligen Schnittmuster waren komplizierte Formen, die meine kindliche Vorstellungskraft überforderten. Es waren beigefarbene Papierbögen, übersäht mit gestrichelten und durchgezogenen Linien, an deren Sinnhaftigkeit ich zwar glaubte, sie aber nicht erfasste. Ich erinnere mich, dass die Mutter zunächst immer mit Zeitungen hantierte, um ihre neu gekauften Stoffe nicht zu verpatzen.
(Natürlich haben viele Künstler das inzwischen ausgewertet, da braucht man gar nicht erst zu suchen. Vermutlich hat man sich heute enstprechend der materialbedingten Machbarkeit zu plastischen Entwürfen hochgeschraubt. Man denkt sich Kleidung von der endlichen Form her.)




In meiner Arbeit zu diesem Projekt, das nicht nur viel Zeit in Anspruch nahm, sondern zwanzig Jahre in mir gebrodelt hatte, kopierte ich die Umrisse der Plastiken zuerst auf alte Zeitungen. Die Außenformen verschmolzen zu teils unförmigen Klumpen. Als Trägermaterial benutzte ich Seiten aus dem Handelsregister. Dort ist eine Unmenge von Text in winziger Schrift gedruckt und stört nicht bei der Betrachtung. Mit der Zeit, und anfangs mit zusammen gekniffenen Augen, nahm ich die Blätter nurmehr als graue Bögen wahr. Sie erinnerten mich, darauf läuft es hinaus, an die Schnittmusterbögen aus der Kindheit.





Die Geschichte der ape ist lang und reich an Ausführungen und an witzigen Eigenbearbeitungen durch die Besitzer. Die erste Ape der Firma Piaggio wurde 1947 gebaut. Sie war ein einfaches, schmales Transportfahrzeug und hatte eine Zuladung von immerhin 200 Kilogramm, worauf die schräg ausgestellten Hinterräder hinweisen. Sie kroch steile Straßen hinauf, wurde bis an die Grenze und darüber hinaus beladen, die Profile der Hinterreifen waren häufig innen abgefahren, und sie war so schmal, dass sie enge Weinberggassen durchfahren konnte. Außerdem war sie preisgünstig im Vergleich zu einem Auto. Inzwi­schen wird sie in Indien gefertigt, soweit ich erfahren habe. Der Name ist heute möglicherweise nicht mehr so passend wie anfangs. Sie war eine umgebaute Vespa. Anstatt eines Lenkrades gab es nur den üblichen Querlenker mit Griff und Viergangschaltung. Sie wird noch immer in der Ausführung mit der geringsten Motorstärke von einem PS hergestellt, aber inzwischen auch mit einer Tragkraft von 900 Kilogramm.

Bedeutend fand ich auf meinen Italienreisen Ende der Achtziger Jahre den entsprechenden Werbeslogan: „Con Ape sì vola“. Mit einer Biene fliegt man. Wenn man die Form der Ur-Ape betrachtet, diese Einschnürung zur Pritsche oder zum Laderaum hin und die elliptische Form der Fahrerkabine wie ein Insektenkopf, und sie mit der Gestalt des Bienenleibes vergleicht, erschließt sich augenblicklich, woher der Name kommt. „Con Ape sì vola“ hielt ich für einen weitsichtigen, genialen Slogan. Im Übrigen heißt Vespa: Wespe, was vermutlich auf das sengende Fahrgeräusch zurückzuführen ist, und so war die baldige Einführung der Biene als zweitem Insekt beinahe zwingend. Die Vespa ist der klassische italienische Motorroller. Generationen von Jugendlichen fegten mit schnarrendem, nervtötendem Sound um die Häuser und fuhren später damit zur Arbeit. Die Ape ist das italienische Nutzfahrzeug der Ladenbesitzer, der Gemüsehändler, der Weinhändler, der Bauern, Landarbeiter und Bauarbeiter. Außerdem wurden damit Sonderlasten transportiert, was bedingt, dass sie in verschiedenen Ausführungen bestellt werden kann. Es gibt beispielsweise eine Ape als Kipplaster, bei der die Ladefläche bis zu einem Winkel von etwa dreißig Grad hydraulisch hoch gestemmt werden kann. Einmal habe ich sogar das Bild eines kleinen Elefanten gefunden, der hinten auf einer Schwerlast-Ape steht, die mit einer zusätzlichen Achse ausgestattet ist.

Leider kam mir ein Atelierumzug dazwischen, so dass ich die plastische Erfassung des Themas nicht zu Ende führen konnte. Sie wartet auf ihre vollständige Ausführung. Den ersten Teil erkennt man auf dem Atelierfoto.

(Atelierfoto)