Bienenanatomie


Die gezeigten Bilder gehörten zunächst zu einer Ausstellung, die unter dem Motto „Kunst und Wissenschaft“ stand. Das Thema ist nicht besonders einmalig, aber ich war dazu eingeladen worden und es passte ausreichend gut zu der künstlerischen Fährte, die ich damals verfolgte. Seit ich Bienen halte, nehme ich Themenfäden auf und gehe ihnen nach. Ich verhalte mich sozusagen wie ein Hund, der eine Spur wittert und in einer gezackten Linie über ein Feld hetzt, als würde er von seiner Nase vorwärts gezogen.





Diese Arbeit legte ich im Sommer des Jahres 2000 als ziemlich monumentale, überbordende Bildserie an. Der formale Aufbau der Blätter stand schnell fest. Es handelt sich um die anverwandelten Zeichnungen des Bienenforschers Enoch Zander. Die Arbeit umfasst etwa das Doppelte an Blättern, was sich jedoch nicht zeigen ließ.
Jeder der vier Künstler, die an der Ausstellung beteiligt waren, was ich vorher nicht geahnt hatte, musste zur Eröffnung eine kurze Rede halten, aus dem Stehgreif noch dazu, in der begründet werden sollte, wie das künstlerische Objekt auf die Wissenschaft bezogen werden konnte. An mich war das plötzliche Halten dieser Rede ein verheerender Anspruch, da ich mit theoretischem Sprechen nichts anfangen kann. Tatsächlich standen wir in einem Kreis um ein Stehpult mit Mikrofon und ich versuchte, mich so lange zu drücken, wie es ging, und versteckte mich sogar hinter anderen. Dann schubste mich jemand einfach in den Kreis und ich kam mir vor wie ein Schüler, der ein Gedicht aufsagen soll, das er nicht auswendig gelernt hat. Ich musste begründen, wie meine Zeichnungen, die eigentlich gar nicht meine waren, mit der Bienenanatomie zusammenhingen, und ich schlingerte wie ein in Seenot geratener Frachter.
Die Ausstellung fand übrigens im dritten Stock der zentralen Münchener Stadtbücherei statt. Der Ort ist ausdrücklich als Galerie ausgewiesen, der Boden ist aber mit Teppich ausgelegt, einem graublauen Nadelfilz, die Wände bestehen aus Sichtbeton, den man eigentlich nicht anrühren soll, und die Decke ist mit blechernen Lamellen abgehängt. Man kann es ruhig ein Desaster nennen. Das Ganze bietet eine großzügige, aber weder charmante noch geeignete Fläche.
(Auf dem Dach des Gebäudes stehen mittlerweile Bienen.)




















Das Material für meine Zeichnungen stammt aus den Zwanziger Jahren. Es ist dem Buch Der Bau der Biene von Enoch Zander entnommen. Das Buch wiederum entstammt einem Kompendium von insgesammt sieben Bänden, die unterschiedliche Themen rund um Bienen behandeln. Doch nur vier beziehungsweise fünf Titel werden seither aktualisiert und weiter aufgelegt. Die Anatomie gehört nicht dazu.

Zander war ein strenger Wissenschaftler, der sich bemühte, alle Elemente, die bis dahin bei den Bienen bekannt waren, einer anatomischen Betrachtung zu unterziehen. Deshalb kommt es vor, dass einige Kapitel seines Buches der Vollständigkeit halber aus fremden Quellen importiert sind. Das erkannte ich weniger am sprachlichen Ausdruck, mit dem ich mich flüchtig befasste, als an den feinen zeichnerischen Stilverschiebungen. In erster Linie war ich erstaunt, wie in der Wissenschaft gearbeitet wird. Die Hohheit der privat gefunden Idee, worauf in der Kunst besonders Wert gelegt wird, weicht einer arbeitsteiligen Anstrengung, dem Rätsel auf die Spur zu kommen.
Zander selbst war ein genauer Tuschezeichner. Selbstverständlich versah er alles und jedes mit Hinweisen, Zahlen, Pfeilen und gestrichelten Linien, um die feste Verschränkung mit dem erklärenden Text zu gewährleisten. Ich musste nicht so vorgehen, da ich sozusagen ein im Kunstauftrag handelnder Dieb bin. Mithilfe von Tippex befreit von allen lästigen Zusätzen, die seine Zeichnungen zu- und unterordnen, treten erstaunlich künstlerische Motive hervor. Ich kopierte sie vergrößert in schwarz-weiß und legte sie in das chamoisfarbene Papier ein, mit dem ich damals arbeitete. Die wissenschaftliche Zuordnung, um welches Element bei der Biene es sich dabei handelt, ging dabei verloren. An jeden Bogen, jeweils am oberen Bildrand sind zwei Zentimeter breite, goldene Streifen angestückelt. Trotz der fast 14 Meter langen Wand ließ sich nur eine geringe Auswahl der gesamten Arbeit zeigen.





Die Rahmen bestehen aus je zwei Plexiglasscheiben, die von einem umlaufenden Aluminiumprofil gehalten werden. Die rauhe, weiß gestrichene Sichtbetonwand scheint durchs bläuliche Glas, und die gelblichen Blätter schweben einzeln vor ihr wie Segel in einer Wasserfläche.