Winterarbeit Honigeditionen


Im Mai 2017 eröffnete in der Galerie Werkschau eine Ausstellung, in der alle Künstler vertreten waren, die bisher dort ausgestellt hatten. Es gab das zehnjährige Bestehen der Galerie zu feiern. Es sollte ein Galeriefest und ein Hoffest werden. Aber da es regnete, kamen wenige Besucher. Dagegen war in der Küche ein üppiges Büffet aufgebaut. Doch während Inge, die Galeristin, noch ihre Einführungsrede hielt, wanderten viele in die Küche und fraßen das Büffet kahl. Als ich später dorthin kam, ragten zwei Stangen Baguette aus einem Topf, auf einem großen Teller lagen drei Oliven und ein wenig Joghurt mit Knoblauch dümpelte in einer enormen Schale.






Mit Honigetiketten herumzuspielen ist eine der typischen Winterarbeiten. Man hat den Honig verarbeitet und in die Gläser gebracht und es geht um das Ausliefern. In diesem Fall drehte es sich um ein Sonderkontingent von zwei Schachteln kleiner Gläser, 250 Gramm, die ich eigens abgefüllt hatte. Mir lag im Sinn, für die Ausstellung eine Edition mit den entsprechenden Etiketten zu entwerfen. Einen verhaltenen Schritt, in dem ein wunderschönes Gedicht von Heine zum Einsatz kam, hatte ich bereits im Jahr 2015 getan.





Der Anfang bestand darin, dass meine üblichen Etiketten, die ich bereits einmal hatte nachdrucken lassen, wieder zu Ende gingen. Für das Jahr 2017 mochten sie noch genügen, aber danach mussten neue parat stehen. Es gab mittlerweile einige Beschwerden hinsichtlich des Motivs. Zwar teile ich die Einwände nicht und sie sind mir sogar unverständlich, doch war das himmelblaue Etikett, wie gesagt, von einem Grafiker entworfen worden. Ich hatte damals dessen Mut bewundert, dieses Blau mit so kaltblütiger Präzision zusammen mit einer Westernschrift einzusetzen. (Einer Frau, die vor zwei Jahrzehnten mit ihren Kinder beim Honigschleudern zugesehen hatte, war der anthroposophische Schrei entfahren: "Seht nur Kinder, seht nur, flüssiges Gold!") Das Motiv, in das der Grafiker die restlichen Informationen integrierte, hatte ich Jahre vor dem Etikett bereits auf  Einladungskarten und in Zeichnungen verwendet. Daher wollte ich im Jahr 2017 sehen, ob mir selbst etwas Überzeugendes gelingen würde. Da versagte ich völlig. „Du kannst ja nur Kunst“, sagte ein Freund ab und zu. (Das beschreibt die Spezialisierung des Künstlers aufs Ozeanische.) Sobald ich allerdings anfing, auszuprobieren, was außerdem möglich war, öffneten sich so viele Möglichkeiten, dass ich um Begrenzung bemüht sein musste, damit überhaupt Editionen zustande kamen. Ich ging mit mir zu Rat und dachte schließlich, drei Themen konnten es sein.




Das eine Drittel der Editionen bestand aus graubraunen Streifen mit Blumenbriefmarken und den jeweiligen Stempeln, fremden gemischt mit eigenen. Die Post hatte die Blüten zahlreiche Jahre lang ausgegeben. (Darauf wird in dem Kapitel "Postalisches Feld" eingegangen.) Sie folgten auf Bienen, die mitten im gelben Blütenstaub einer rosafarbnen Blüte mit fingrigen Blütenblättern saßen. Das ist einige Jahre her, denn meines Wissens kostete der Brief damals 55 Cent, und die Bienen waren für die emsigen Flüge kreuz und quer durch Deutschland ausgelegt.





Zuvor, in den Jahren 2003 und 2004 hatte es schon einmal übergroße, schwülstige Marken mit Rosen- und Kamelienblüten gegeben, ebenfalls zu 55 Cent. Es stand dort in geschwungener Pseudohandschrift "für dich" und "Grüße", als ob man einer entfernten, aber innig geliebten Tante im Ruhrpott schreiben würde. Die Marken erinnerten mich sofort, wie Großmütter und Tanten in ihre mit Kölnisch-Wasser getränkten Taschentücher spuckten, um mir den schokoladigen Mund sauber zu wischen. Nur die stahlharten Poststempel, die auf die Briefe gedroschen wurden, milderten diese widerwärtigen Assoziationen ab.
Erst später ließ sich die Post dazu hinreißen, die nüchternen, aber umso romantischeren Blüten in kompletter Vielfalt, jeweils mit einem eigenen Wert versehen, aufzulegen. Eines Tages, als ich schier endlos auf einen Zug warten musste und sich ein Postamt neben dem Bahnsteig befand, stapfte ich hinein und sagte, ich wolle von jeder Blütensorte mindestens eine Marke kaufen. Später stellte ich fest, dass der Beamte einige Werte unterschlagen hatte oder sie dort nicht vorrätig gewesen waren oder sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht gedruckt worden waren. Ich denke mir, dass es mehr Spaß macht, einen Brief voller Blüten in den Postkasten zu stopfen, als beispielsweise frankiert mit der trockenen „600 Jahre Universität Leipzig“ Marke.
In der Zeit der Blütenschwemme bat ich einige Freunde, diese Briefmarken für mich zu sammeln. (Der Vorgang entsprach dem Sammeln der Bäckereibiene.) Später bastelte ich daraus Etiketten. Natürlich hatte ich auch persönliche Favoriten, beispielsweise die Kuhschelle zu 58 Cent oder das Tausengüldenkraut zu 28 Cent. Die Schokoladen-Kosmee zu 70 Cent kam mir verwegen vor. Dass die Blüten der selteneren Pflanzen umso höheren pekuniären Werten zugeordnet sind, erschien mir logisch. So kam der Frauenschuh, eine seltene heimische Orchideenart, mit Viereurozehn enorm heraus. Allerdings ist die weiß blühende „Federnelke“, mit einem rotblauen Saftmal, im Naturspektakel selten zu finden, und doch bleibt sie mit 85 Cent auf den unteren Rängen.







Eine labyrinthische Spur, die sich in Zusammenhang mit meiner gesamten künstlerischen Arbeit aufdrängte, sind knappe, verrätselte Sätze über Bienen und Wachs und Honig, die bumble bee und sprachliche Verdrehungen. Natürlich ist wieder von Finnegans Wake die Rede. Es ist die unerschöpfliche Quelle. Von dort zu zitieren ist immer ergiebig. Joyce ist ein Meister der Verknappung und der Wake erscheint mir als das Buch der Moderne. Man kann sich damit nicht an den Strand legen und schmökern und die Zeit vergessen. Doch einige würden es heute auf die immaginierte einsame Insel mitnehmen.






Eine dritte Quelle und somit die dritte Edition bildete ein Thema, das mich vor allem im vergangenen Jahr beschäftigte. Es sind Filmchen auf youtube, die ich oft gemeinsam mit meiner Tochter anschaute. Jedem, der weiß, worum es geht, ist sofort verständlich, dass ich hier nicht mehr preisgeben kann.

Übrigens rief mich später, als die Ausstellung bereits am Laufen war, eine Frau an und erbat sich, ein goldenes Etikett mit einem Text aus finnegans wake angefertigt zu bekommen. Und im Glas sollte frischer Honig aus dem Jahr 2017 sein. Der war zu Beginn der Ausstellung noch nicht geerntet worden. Sie wolle eine Verwandte damit beschenken, sagte sie. Doch als ich für ein vorgefundenes Glas das Etikett anfertigte und frisch geschleuderten, beinahe noch bienenwarmen Honig einfüllte, wies sie es zurück. Das sei nicht das Glas, das sie erwartet habe. Es war etwas höher und schlanker und obenauf saß ein Blechdeckel mit Sechseckmuster. Man konnte gerade bei diesem Glas besonders gut den hellen, fast klarsichtigen Honig betrachten. Sie wollte lieber eins der gedrungenen mit Plastikdeckel.