Einen
Eindruck von der Vitalität dieser Seuche
bekommt man am Modell Schweiz. Im Jahr 1984, liest man, wurden die
ersten Bienenvölker von der Milbe befallen. Ich vermute, dass der
Parasit aus mehreren Richtungen eingewandert ist. Über die Grüne
Grenze, denn gegen nationale Ambitionen ist die Milbe ignorant. Fünf
Jahre später bereits war sie in der gesamten Schweiz zuhause. Man
weiß seit langem: Sie verbreitet sich, indem sie auf Bienen sitzt,
die sich in andere Völker verfliegen und über Bienenschwärme, die
auf der Suche nach einer neuen Unterkunft größere Strecken
zurücklegen. In manchen Ländern wird die natürliche
Verbreitungsgeschwindigkeit durch Wanderimker beschleunigt. In den
USA werden die Bienen über tausende
von Meilen transportiert. Nicht so in der Schweiz. Da wird praktisch
gar nicht gewandert. Sogar Freistände, die das Wandern begünstigen,
sind selten. 75 % der Imker bevorzugen das Häusliche. Aber die
Schweiz hat eine hohe Bienendichte. Deshalb geht die Ausbreitung dort
so schnell.
Man
hat der Milbe den wissenschaftlichen Namen varroa
destructor gegeben.
Die Namensgeber haben sich offenbar bemüht, ihn besonders
furchterregend klingen zu lassen: die Zerstörerin. Wodurch ich
sofort an einen frühen Film mit Arnold Schwarzenegger erinnert bin.
Man hat heute natürlich sehr viele wissenschaftliche Erkenntnisse.
Woher sie kommt: aus Südostasien. Wie die Bienen dort in Eintracht
mit ihr leben: besseres Putzverhalten und kürzere Entwicklungszeit
der Arbeiterin. Wann und wo der Wechsel auf die westliche Biene
stattgefunden hat: 1952 in Ostsibirien und wie ich vermute, auf die
Primorski-Biene. Wie die Varroa in ferne Länder reist, sogar in
Kontinente: durch Bienenimporte. In welchen Ländern sie nicht ist:
Australien und Antarktis.
Wie sie sich orientiert: durch ihren Geruchssinn. Wo ihre
Geruchssinnesorgane angebracht sind: inMulden der Füße. Wie sie
sich vermehrt: durch Eiablage. Und wo sie das tut und wie schnell das
geht und so weiter.
Und
wie man ihr auf alles draufgekommen ist.
Dennoch
gibt es kein Behandlungsmittel, mit dem alle einverstanden sein
können. Umso fantastischer klingen gelegentlich die Meldungen von
Heilerfolgen. Was eine direkte Proportion vermuten lässt. Und
ebenfalls beachtlich, was die Imkerzeitung alles druckt. Einmal gab
es einen Bericht von Milbenvernichtung durch Schall. Da hat einer
seine Stereoanlage in den Garten getragen und die Boxen an den Stock
gehalten. Davon seien die Milben heruntergefallen. Allen Ernstes.
aus
den Honiggeschichten
Und
ich frage mich selbstverständlich, was dieser Imker den Bienen
vorgespielt hat.
Eine
Methode, der (fast) alle zustimmen, ist das Ausschneiden der
Drohnenwaben im Sommer. Geraume Zeit vor dem ersten Honig darf kein
Behandlungsmittel mehr gegen die Milbe eingesetzt werden. Sobald die
Bienen anfangen zu bauen, gibt man ihnen leere Rähmchen. Dort ziehen sie die Zellen für die männlichen Bienen. Die Zellen
sind ein wenig größer entsprechend der Drohnen, die einen breiteren
Hinterleib haben. Die Drohnen brauchen 24 Tage, bis ihre Entwicklung
abgeschlossen ist. Die Arbeiterin hingegen schlüpft nach 21 Tagen.
Die Milbe legt ihre Brut in Zellen, damit diese am Eiweißsaft, der den reifenden Bienen als Futter beigegeben ist, und an den Puppen fressen
kann. Doch die Milbe ist klug und wählt gern die Drohnenzellen, da
diese drei zusätzlichen Tage der Entwicklung ihrer Brut hilfreich sind. Gibt es
viele Milben im Stock, legt sie natürlich auch die Zellen der
Arbeiterinnen voll und diese kommen dann beispielsweise mit
verkümmerten, also weggefressenen Flügeln zur Welt. Da aber die
Drohnenwaben bevorzugt werden, schneidet man sie über den Sommer
hinweg aus. Franz brachte mir bei, pro Brutraum eine Drohnenwabe einzuhängen, so dass sie im Wechsel ausgeschnitten werden können. Denn haben die
Bienen auf die Brut einen Deckel gesetzt, ist diese versiegelt. Dann
erwischt man beim Ausschneiden der Drohnen auch die Milben. Im
Sommer, so heißt es, ist das die einzig praktikable Methode, und sie
sei sehr effektiv, heißt es, da beinahe die Hälfte der pro Jahr
anfallenden Milben dadurch vernichtet würde. Jedoch werde ich von
Zuschauern am Stand ständig gefragt, woher dann die Königinnen, die
befruchtet werden müssen, die männlichen Bienen nehmen. Gute Frage.
Es
gibt, liest man, zwei Hauptarten der Milbe, die offenbar schnell
mutiert und gegen bestimmte Behandlungsmittel Resistenzen entwickelt.
Nach dem ersten Nachweis der Varroa an der russischen Pazifikküste ging es weiter mit Japan im Jahr 1958. In Europa wurde sie zuerst im Jahr 1967 in Bulgarien
gefunden. Der erste deutsche Nachweis stammt aus dem Jahr 1977.
Soweit ich weiß, ist sie aus der Bienenlehranstalt in Oberursel bei
Frankfurt entwichen, als man versuchte, die indische Biene mit einer
der bei uns heimischen Rassen zu kreuzen. Das Vorhaben misslang
natürlich, aber wieder ließ jemand eine Tür offen. Binnen kurzem
waren hunderte Völker um die Lehranstalt infiziert. Die Milbe
verbreitet sich schnell und auf verschiedensten Wegen. Bei uns sind
einige Imker wegen der großflächigen
Monokulturen der
industrialisierten Landwirtschaft zum Wandern mit ihren Völkern
gezwungen.
Lange
wurde versucht, resistentere Bienenrassen in die bestehenden
einzukreuzen. Das führte jedoch nicht zu großem Erfolg. In der
Natur vorkommende Säuren, Ameisen-, Oxal- und Milchsäure, werden
erfolgreich eingesetzt. In letzter Zeit wird mit
Temperaturunterschieden experimentiert. Die Milbe erträgt weniger
Hitze als die Biene.
Die
Milbe ist mit bloßem Auge erkennbar. (Einmal hörte ich in einem
völlig unmöglichen Fernsehbeitrag einen schwäbischen Imker sagen,
die Milbe sei nicht gefährlich, da man sie mit bloßem Auge sehen
könne.) Sie sitzt auf Bauch oder Rücken der Drohnen oder der
Arbeiterinnen, hat ein Loch gebohrt und saugt deren Lymphflüssigkeit,
die unserem Blut ähnelt, jedoch frei im Körper fließt. Nachdem die
Milbe abgefallen ist, heißt es, bleibt ein Loch, durch das
Sekundärinfektionen beispielsweise durch Viren möglich sind. Franz
bezeichnete die Milbenseuche als die wirkliche Bedrohung, und er
hatte Recht.