Freitagsbeilage


Die Süddeutsche Zeitung bringt jeweils ein Thema in ihrem Magazin. Es liegt ungefähr im DIN A 4 Format als Heft der Freitagsausgabe bei. Dieses mal sollten Menschen portraitiert werden, die zuvor einen anderen Beruf ausgeübt hatten, sich nun aber zu wertvollem Essen hingezogen fühlten und es selbst herstellten. Einer der Höhepunkte, nach meinem Ermessen, waren zwei Münchner, die Gin brauten. Einige hatten in wirklich fremden Berufen gearbeitet, eine Frau war im IT-Marketing tätig gewesen, ein Mann, der zuvor Schauspieler gewesen war, betrieb nun ein Restaurant. Auf dem Cover war eine Frau mit Stirntuch abgebildet, die einen Nudelwalker in der Hand hielt und Teig ausrollte. Bei mir lag der Fall anders, da die Bienen mir die Einfälle liefern. Das „vorher“/“nachher“ war nicht gültig. Ein Foto übrigens zeigte mein Gesicht. Deshalb stelle ich es nicht auf die Internetseite. Die Ausgabe erschien am 2. Dezember 2011.




Die Fotos sollten von einem außerordentlichen und berühmten amerikanischen Fotografen geschossen werden. Dazu aber schickte man als Vorhut einen jungen deutschen Fotografen. Der sollte für den Amerikaner zunächst das Terrain sichten und es ihm vermittels eigener Fotografien kenntlich machen. Ich hielt diese Vorgehensweise gleich für Unsinn. Und schließlich kam es so: Der Starfotograf war der SZ zu teuer und man zog sich auf die bereits bestehenden Fotos zurück. Das Interview, ohne das eine Zeitung nicht auskommt, führte ein Bekannter, mit dem ich vor nicht langer Zeit ausführlich telefoniert hatte.




Doch ein Auftritt in der Zeitung führt häufig weiter. Denn wenig später, im Jahr 2012 kam das Zweite Deutsche Fernsehen auf mich zu, um den Teil eines Beitrags zu filmen. Als jemand, der Bienen hält, darf man sich nicht zuviel von diesen Geschichten erwarten. Meistens sieht man Ähnliches. Ich wurde nur selten wirklich überrascht.

Invertase


Es gibt meistens einen Bienenstock, den ich den gesamten Sommer über ganz in Ruhe lasse. Ich nehme keine Eingriffe vor, verhindere das Schwärmen nicht und die Mädels sind auch im Winter auf sich selbst gestellt. Nur gegen die Milbe behandle ich selbstverständlich. Man könnte poetisch sagen: Diese ist von den Menschen gebracht und muss von ihnen auch wieder entfernt werden. Praktische Gründe sind, dass man verhindern will, dass das Volk über den Winter eingeht und Rückinfektionen in die anderen Völker am Stand trägt. Dieser eine Bienenstock, den ich in Ruhe lasse, sammelt seinen eigenen Honig, lagert ihn ein und isst ihn im Winter.





Strukturformel


Invertase ist ein Enzym, mit dessen Hilfe Einfach- und Zweifachzucker in den Invertzucker aufgespalten werden. Früher sagte man zu Invertzuckercreme Kunsthonig, was eine zwar lustige, aber nicht allzu bedeutende Analogie ist. Invertzuckersirup lässt sich bereits fertig angemischt im Imkerbedarfsgeschäft kaufen. Es ist ein Gemisch aus Fructose, Glucose und Saccharose in entsprechender wässriger Verdünnung. Fructose und Glucose sind Einfachzucker. Saccharose ist ein Zweifachzucker. Die Lösung ist den Bedürfnissen der Bienen angepasst. Die Mischung wird den Bienen für den Winter deshalb gefüttert, da sie sie am besten verdauen können, beziehungsweise der Darm am wenigsten belastet wird. Ist es im Winter über lange Zeit hin durchgehend kalt, können die Bienen ihren Bau nicht verlassen, um den Darm zu entleeren. Melezitose beispielsweise wird von Blattläusen ausgeschieden und ist ein Dreifachzucker, der sofort eindickt. Für den Bienendarm ist er am wenigsten verträglich. Verzichtet man nach einer ausgiebigen Waldtracht (die es nur auf dem Land gibt) aufs Schleudern, werden die Bienen im Winter ziemlich sicher an der Ruhr erkranken.

Von den meisten Imkern wird den Bienen derjenige Honig belassen, den sie im Brutbereich gelagert haben. Oft füllen die Bienen die beiden unteren Räume seitlich mit Honig, sie legen zunächst volle Randwaben an und man füttert ihnen gemäß des Gewichtes, das der Stock bereits besitzt, die restliche Invertzuckermischung, so dass über dem natürlichen Sitz des Volkes, das sich im Herbst nach unten verlagert hat, ein Honigkranz entsteht. Die Bienen fressen sich dann über den Winter nach oben. Manche Imker gehen sogar ganz genau: Sie wiegen ihre Stöcke. Dann berechnen sie die Anzahl der Bienen, ihren Bedarf über den Winter und das fehlende Futter. Bei mir gehts nicht so genau. Ich schaue, wie viele Bienen im jeweiligen Stock sitzen, wie viel Honig eingelagert ist und prüfe das gesamte Gewicht, indem ich die Stöcke hinten auflüpfe. Wenn ich mir unsicher bin, gehe ich meine Aufzeichnungen über die sommerliche Entwicklung des einzelnen Volkes durch und füttere dann eine geschätzte Menge.

Die Hauptverteiler


Nachdem Honig sich als mein Jahresthema eingeschlichen hatte, verwendete ich diesen Sommer auf die Organisation der großen Verteiler. Ohne Freunde hätte ich es nicht geschafft, so weit zu kommen. Jetzt stehen jeweils einige Hauptverteiler in der Startposition und warten gespannt auf das Jahr. Mich erreichen ständig Anfragen, wo denn der Honig dieses Jahres und auch der künftige zu kaufen sei.


Gelegentlich werde ich gefragt, was es denn eigentlich bezüglich der Bienen zu arbeiten gebe über das hinaus, was die eigentliche Mühe der Honiggewinnung ist. Was passiert direkt am Bienstock? Die Frage bezieht sich auf die Themen, die sich aus der komplexen Struktur der Bienen wie von selbst auffalten. Meistens können sich die Fragenden, nachdem ich ein paar Erklärungen angerissen habe, zwar vorstellen, dass die Bienenhaltung schwer zu erlernen ist. Aber sie fragen sich zurecht, wie einer das in Kunst verwandelt. Meistens, und das antworte ich, beschäftigt mich ein Thema ein Jahr lang. Manchmal setze ich mir ein Jahr als Frist. In Wirklichkeit ist es keine so strenge Abgabefrist wie bei der Steuererklärung. Meistens beschäftigen mich mehrere Themen gleichzeitig, einige sind sekundär, andere muss ich aufschieben, da sie meine Kapazität übersteigen. Bislang bin ich auf keine natürliche Grenze gestoßen. Allerdings beginnt das sogenannte Bienenjahr am ersten August. Sieht man das Thema also eng, sozusagen wie ein Kunstbeamter, ergeben sich daraus fünf Monate Unterschied zum Kalenderjahr, und die nutze ich zum Nachsinnen. Fasst man den Januar als Zeit ins Auge, an dem sich ein Thema ausreichend geklärt haben sollte, an dem man sozusagen die Werkstatt zusammenkehrt und anfängt, das Geplante auszuführen, kommt man dem Prozess am nächsten.




Die Frage nach dem Honig gewann für mich weiter an Bedeutung. Franz und ich hatten den Honig als Nebenprodukt eingegliedert. Selbstverständlich gewinnt man ihn mit Umsicht. Ich hatte stets den Eindruck, er sei mehr als ein Lebensmittel. Doch erst nach 19 Jahren stellte ich fest, dass der Honig die Konsumenten dazu führt, sich für die Bienen, von denen er stammt, zu interessieren. Im engsten Fall wollen sie an der Ernte teilnehmen oder zuschauen, wenn ich die Bienen besuche. Oft fragen sie mich stundenlang aus. Der Honig ist, wie gesagt, das fehlende Glied, dachte ich in diesem Jahr. Deshalb schaute ich ihn genauer an, die unzähligen Zuckersorten und die Pflanzen, die sie zuwege bringen, die unterschiedlichen Honigfarben und verwandte Themen.




Aufgrund des feuchten, weder regnerischen, noch windigen Wetters im Mai 2008 blühten die Robinien ausgiebig. Das geschah zum ersten mal seit 16 Jahren und hatte mit der klimatischen Veränderung zu tun. Sie verschiebt die Blühzeiten aller Pflanzen. Während die Robinie und die Linde sich gewöhnlich überlappten, blühten sie in diesem besonderen Jahr getrennt. Früher begannen die Linden Mitte Juni zu blühen, heute am Anfang. Kurz davor regnet und stürmt und hagelt es oft. Die Blüte der Robinie wurde zahlreiche Jahre hindurch von gewaltigen Winden und nächtlichen Regenstürzen weggespült. Wenn man morgens aus dem Haus trat, lagen die feinen, weißen Blüten im Rinnstein. Im Jahr 2008 allerdings endete die Robinienblüte genau vor der Lindenblüte und das war am 4. Juni. Es war feuchtwarm, es regnete nicht, hagelte nicht, der Wind wehte lau und langsam, manchmal nieselte es nachts gemächlich vor sich hin. Die Robinien blühten und dufteten schwer und süß. Sobald die einen Blüten gefallen waren, erblühte der gesamte Baum quasi neu. Die Robinie ist, was den Honig betrifft, äußerst ergiebig. In der imkerlichen Fachsprache bezeichnet man das als „Honigwert“. Am Rosengarten stehen einige dieser Robinien, nicht gerade ein Wald, aber doch so viele, dass es ausreichte, die Honigräume innerhalb weniger Tage zu füllen. Daher ergab sich ein wunderbar schmeckender, einzigartiger Honig. Die Robinie liefert, wie schon erwähnt, den Akazienhonig. Er ist fast durchsichtig und bleibt Jahre lang flüssig. Im Sommer 2003 war es monatelang dermaßen heiß, dass man sich nicht bewegen wollte. Die Meteorologen sprachen reflexartig von einem Jahrhundertsommer. Vielleicht war das eine sprachliche Unschärfe, da sie noch im Zwanzigsten Jahrhundert feststeckten. Es gab kaum Honig. Der Nektar, den die Pflanzen absonderten, trocknete sofort und konnte von den Bienen nicht aufgenommen werden. Der Honig war dunkler als Kaffee und hielt dem Vergleich mit Corbezzolo-Honig aus Sardinien oder Elba stand.

the missing link



Die lange Berufs- oder Berufungserfahrung mit den Bienen bringt meine Ansicht hervor, dass der Honig, insbesondere der Stadthonig das „fehlende Bindeglied“ zwischen den Stadtbewohnern und der städtischen Natur bildet. Viele Menschen, nicht nur solche, die in der Stadt wohnen, stehen, was die Natur betrifft, zwar außen und werden dort auch bleiben, jedoch sind sie den drängenden Problemen, beispielsweise dem Bienensterben oder den klimatischen Veränderungen gegenüber offen und interessieren sich für Naturzusammenhänge.
Häufig stelle ich fest, dass die Menschen der Stadt einen beschaulichen Umgang mit den Pflanzen pflegen. Sie betrachten aufmerksam die vielfältigen Farben der Blüten, atmen den betörenden Duft ein, sie laufen ziellos im Rosengarten umher und beugen sich zu den kleinsten Blumen hinunter, um sie in Augenschein zu nehmen oder daran zu riechen. Sie suchen ihre Lieblingsorte auf, lassen sich dabei durch den Garten treiben und landen bei den Bienenstöcken, verfolgen das Geschehen dort eine kurze Weile, schauen den Bienen beim Ein- und Ausfliegen zu und wenden sich beispielsweise nach dem stark duftenden Flieder um. Einige wissen genau über die Vorgänge am Bienenstock Bescheid, ohne deren genauen Sinn zu erkennen. „Neulich haben Sie doch diese Waben da heraus gelegt“, sagen sie mir beispielsweise. Ich erteile die Auskunft, dass das Drohnenwaben waren, und lege Rechenschaft ab, warum ich das getan habe. Daraufhin geben die Menschen eine ganze Menge Wissen preis, das sie vom Lesen aus Zeitungen oder vom sogenannten Hörensagen erworben haben. Und so entspinnt sich ein Gespräch.
Bienen sind ein von der Natur bereit gestelltes Gelenk zwischen den Pflanzen. Leider bringt erst ihr Sterben zu Bewusstsein, dass sie, statistisch betrachtet das drittwichtigste Nutztier der Erde sind, und das ist insofern erschreckend, als eine Tierart offenbar erst vom Aussterben bedroht sein muss, bevor man ihre Wichtigkeit erkennt. Andere Tierarten übrigens, die ebenfalls eifrig bestäuben, beispielsweise die Hummeln, die Solitärbienen, die Schmetterlinge und so weiter, fallen bei dieser Rechnung unter den Tisch.
Die Spaziergänger und Fragensteller, die ich während der vergangenen Jahre im Rosengarten beobachten konnte, lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Dennoch fällt auf, dass ihre Fragen sich ähneln, dass sie von den in den Medien ausgebreiteten Themen angestoßen sind und dass ihre Art der Betrachtung nicht systematisch, sondern schwärmerisch ist. Diese Art hat etwas für sich, wenngleich sie dem Experten, zu dem man zwangsläufig mit der Zeit wird, laienhaft erscheint.
Honig zu essen, vertieft das Interesse. Insbesondere der Honig, den der Stadtbewohner und Spaziergänger in den öffentlichen Gärten von dem Ort isst, an dem er lebt, erweitert seine Kenntnis der Zusammenhänge und führt dazu, dass er genauer hinschaut. Dazu fällt mir das Sprichwort „Liebe geht durch den Magen“ ein. Oft weckt der Stadthonig erst den zugeneigten Blick und verweist darauf, dass neben den klassizistischen Häuserfassaden, den vielfältigen und oft teuren Automarken, den Rolltreppen in eine Tiefe, aus der verbrauchte Luft herauf geschoben wird und dem weit verzweigten U-Bahnnetz ein Paralleluniversum aus Flora und Fauna existiert. In München nennt man die Isarauen „Grüngürtel“ oder „grüne Lunge“. Genau diesen, am parallel abrollenden Leben im jahreszeitlichen Kreislauf beteiligten Blick, wünscht sich der Experte. Es ist der noch nicht wissend abwinkende, sondern manchmal besorgte und meist neugierige Blick, der häufig dazu in der Lage ist, neue Erkenntnisse über die zu einem großen Teil noch offenen Naturzusammenhänge hervor zu bringen. Über Bienen wissen wir weniger, als wir denken. Und genauso ist es bezüglich der Pflanzen, zwischen denen die Bienen als arbeitsame Katalysatoren hin und her eilen und ihren Schwestern in sogenannten Tänzen mitteilen, wo sich ausgedehnte Futterquellen finden.
Die wissenschaftliche Herangehensweise, die manchmal vorher festlegt, was sie herausfinden will, um es anschließend als gegeben zu beweisen, ist bei vielen Künstlern nicht gut beleumundet. Hier tut sich ein uralter Konflikt auf, der den forschenden Geist ursprünglich nicht sofort als wissenschaftlich einordnet und der einem Auge, das sich nur mithilfe des Mikroskopes tiefer und tiefer in den Mikrokosmos schraubt, nicht zwangsläufig vertraut. Die Geste des Zurücktretens vom Schauplatz, um das Ganze mit einem Blick zu erfassen, kommt wieder in Mode.

Erst spät stieß ich auf die tiefe Bedeutung des Stadthonigs, den ich bisher für ein bemerkenswertes, aber nicht allzu wichtiges Nebenprodukt meiner Bienen gehalten hatte. Bienen, dachte ich ursprünglich, kann man überall in der Stadt aufstellen. Zur Zeit ist eine lebhafte Bewegung in den Städten erkennbar, die genau das tut. Die Beteiligten betreiben eigene Portale im Internet. Manche wollen Bienen auf das Rathaus stellen und auf öffentliche Gebäude jeder Art, um auf die Bienenproblematik aufmerksam zu machen. Sie bringen ihre Stöcke in Stellung wie Marschflugkörper. Mein skulpturaler Ansatz umfasst, dass Bienen nicht nur im städtischen, sondern auch im öffentlichen Raum stehen müssen. Und mit dem Honig als fehlendem Bindeglied sollen die Bienen an ihrem Aufstellungsort besuchbar sein. Die Menschen, die den geernteten Honig essen, müssen hingehen und den Bienen bei der Arbeit zuschauen können. Der Städtische Rosengarten am Schyrenbad ist in dieser Hinsicht ein absoluter Glücksfall. Ich will nicht großspurig behaupten, dass es nicht ähnlich geeignete Orte in München gibt (beispielsweise den Nymphenburger Park). Doch insgeheim denke ich, dass der Rosengarten glücklicher ist.
Eine Frage, die mir häufig von besorgten Müttern, die ihren Kindern meinen Honig zum Essen geben möchten, gestellt wird und die alle Berechtigung hat, ist die nach der Schadstoffbelastung in der Stadt. Dazu gibt es viel im Detail zu sagen. Unterm Strich ist die Stadt für Bienen ein gültiger Lebensraum. Draußen auf dem Land gibt es Gifte, die eigens auf die Pflanze zugeschnitten sind, um die schädigenden Einflüsse von innen heraus einzudämmen oder zu beseitigen. Das große Versprechen von "Genmais" und "Genraps" lief im Jahr 2011 noch auf eine unbewiesene Behauptung hinaus. Die Insektizide, Fungizide, Pestizide, Herbizide sind Designgifte. Sie lassen die eine Pflanzenart, auf die sie zugeschnitten sind, besser gedeihen und töten den Rest ab. Dadurch provozieren sie Monokulturen. Das sieht man beispielsweise den Feldrainen an, die um Rapsfelder verlaufen. Man wird dort außer einigen hartgesottenen Kamillen wenig finden. Reste dieser Gifte werden zusätzlich vom Wasser im Boden über weite Strecken transportiert. In Deutschland, sagte ein Freund, gibt es kein von Bienen überflogenes Gebiet, in dem unbehandelter Raps angebaut wird. Die Bienen einer Kolonie befliegen zwischen drei und fünf Kilometern im Umkreis. Je nach dem, wie flugstark die Sammlerinnen eines Volkes sind, ergibt das eine Fläche von dreißig bis siebzig Quadratkilometern.
Die großen Trachtquellen der Stadt sind die Bäume. Hier erkennt man das Schneiden auf Hochstamm. Meistens sind die Bäume so geformt, dass die Blütenkrone erst oberhalb einer Durchfahrtshöhe für Lastwagen, das heißt ab vier oder fünf Metern beginnt. Auspuffgase, insbesondere Ruß und Feinstaub sind giftig, jedoch schwerer als Luft, so dass sie in der Nähe der Straßen zu Boden sinken. Sie werden oftmals verwirbelt, aber letztlich fließen sie dem tiefsten Punkt zu. Die Pflanzen, wie mir ein Biologe erklärte, besitzen hervorragende Filtereigenschaften. Ein Schwermetall gelangt nicht in den Nektar, da die Pflanze es herausfiltert. Schließlich sind diese Schwermetalle nicht auf die Pflanze zugeschnitten, sondern auf den Ottomotor. Dennoch war es mir wichtig, meine Bienen an einem Ort aufzustellen, an dem sie von Auspuffgasen nicht erreicht werden. Wirklich schädlich ist es, sein Baby in einem niedrig liegenden Kinderwagen neben einer stark befahrenen Straße entlangzuschieben.

C`era "un confronto"


Diese Ausstellung fand in Mailand statt, in der Galleria Scoglio di Quarto, die von Gabriella Brembati geleitet wird. Meine Arbeit traf auf die von Anna di Febo, die mit Industriewachs arbeitet. Mit Anna verbindet mich seither eine intensive Freundschaft. Als Stefano Soddu mich anrief und fragte, ob ich bereit sei, eine Ausstellung in ihrer Galerie zu bestreiten, sagte er, dass das Bienenthema in Mailand unterrepräsentiert sei. Wenn man jedoch an Bienen denke, komme einem von selbst mein Name in den Sinn. Das ehrte mich. Ich nahm das Angebot sofort an. Daher stellte ich eine proportionierte Auswahl der Arbeit, die sich auf die Bienen bezieht, zusammen und fuhr damit nach Mailand. Dort sprach ich mich noch einmal mit Gabriella ab, wählte das Wichtige aus, legte es aus oder hängte es auf und versuchte eine griffige Nahtstelle zu den Arbeiten von Anna di Febo, die mit mir ausstellte, zu finden. Der Titel der Ausstellung lautete: In Due.
Zwar gibt es Fotos der Präsentation, aber sie sind mir abhanden gekommen. Einige Aufnahmen zeigen mich auf der Internet-Seite von Anna. Letztlich war in Mailand gezeigt, was vorher Eingang in andere Ausstellungen gefunden hatte. Es kam nichts Neues dazu. Mir fehlte in diesem Augenblick, offen gesagt, ohnehin die Energie. Und es war auch nicht so gedacht. Daher muss man es sich als ein Extrakt vorstellen. Und das Fehlen von Fotos ist vielleicht lässlich.
Für jeden von uns beiden, Anna und mich, wurde ein Faltblatt gedruckt. Gabriella erhielt von mir eine Auswahl bearbeiteter Fotos geschickt, die ich entweder von früheren Ausstellungen besaß oder die im Atelier aufgenommen worden waren. Daraus entnahm sie einige Abbildungen und stellte einen langen, poetischen Text von Stefano bei. Darin beschreibt er im Anschluss an einen kurzen Abriss meines künstlerischen Werdegangs, wie sie mich kennen gelernt hatten, wie er und Gabriella eines Tages im Jahr 1999 unverhofft mein Atelier in München besucht hatten.
Das für mich erstellte, doppelseitige Faltblatt, das schnell vergriffen war, ließ Gabriella unter anderem mit den beiden Zeichnungen bedrucken, die bereits in dem Kapitel: „Meister, die Imme ruft“, zu sehen sind. Es befremdete mich ein wenig, in Mailand mit einem deutschen Wortspiel aufzutreten. Aber da es Teil einer Papierarbeit ist, ging es gerade so durch.
Annas Hälfte hieß: Figure assenti dentro uno studio di cera
Der Titel meiner Hälfte lautete: C`era "un confronto"
Natürlich kommt durch die abgebildeten Zeichnungen wieder Wilhelm Busch ins Spiel. Daher sind hier zwei weitere Abbildungen aus seinem Werk gezeigt.








kunstherberge birkenau





Vor kurzem nahm ich an der Ausstellung kunstherberge birkenau Teil. Das Thema lautete „Vergänglichkeit und Werden“. Zwei desolate Abbruchhäuser waren unmittelbar vor ihrem sogenannten Vergehen zur Verfügung gestellt worden. Wegen der Nähe zum Rosengarten, in dem meine Bienen stehen, aber nicht nur deshalb, zeigte ich erneut eine kleine Arbeit über Bienen. Es ist eine zarte, nur mit Bleistift gezeichnete Schrift, deren Buchstaben von Stegen gehalten werden, auf Aluminiumblechen. Sie hingen in wenigen Zentimetern Entfernung vor einer tapezierten Wand. Der Zweck, der in der Schrift begründet liegt, ist tatsächlich, ausgeschnitten zu werden. Nur unterließ ich es. Es schien angemessen, dass die Vorform einer Arbeit hier präsentiert wurde, gleichsam die Simulation des Werdens. Das genügte für diesen Augenblick und war für diesen schimmeligen, herunter gekommenen Raum das Richtige. Und so begnügte ich mich mit einer zurückhaltenden Andeutung. Doch eines Tages, nahm ich mir vor, wollte ich denselben Spruch in einer ähnlichen Type so präsentieren, dass das Licht, das meistens schräg von oben einfällt, die Worte auf die dahinter liegende Wand schreibt. Der Satz lautete wieder: CON APE SI VOLA
Vielleicht ist damit schon zu viel vom Sinn der nicht ganz durchgeführten Arbeit verraten. Wichtiger für diesen kurzen Bericht ist, dass die Ausstellung mit zahlreichen Künstlern befüllt war, die sich während einer Reihe von Eröffnungen abwechselten und die einzelnen Räume bespielten. Ich war einer von denen und kannte viele der anderen. Hier war es falsch, weiter zu gehen, als bis zu einem vorläufigen Stadium. Daher werden die meisten Besucher nur die Bleche ohne die Schrift in dem halbdunklen Zimmer wahr genommen haben. Sie werden die Stirn gerunzelt und gedacht haben: was für ein langweiliger Unsinn! Macht nix, dachte ich. Natürlich geht es immer um die Wurst, und das Ganze war, obwohl ich mich einiger Kritik erwehren musste, in diesem Stadium schon fertig. Vielleicht war die gezeichnete, noch nicht ausgeschnittene Schrift sogar schöner, als die bis zum Ende ausgeführte Arbeit. Die Bleche allerdings verschwanden nach der Ausstellung umgehend in meinem Lager.

Mit einer der teilnehmenden Künstlerinnen, die ich zwar lang, aber nicht gut kenne, ergab sich folgender befremdliche Wortwechsel:
Ich sagte nachdenklich und ernsthaft: „Seltsam, ich wollte nie politische Kunst machen. Jetzt haben sich die Umstände geändert und meine Kunst ist sozusagen automatisch eine politische geworden.“
Ich spielte damit auf die Auswirkungen des Klimawandels an. Erst vor einigen Tagen war ein entsprechender Artikel in der Zeitung gestanden. Wissenschaftler hätten jetzt festgestellt, hatte er verkündet, dass die klimatischen Veränderungen Großwetterlagen bewirkten. Was für armselige Tröpfe, dachte ich augenblicklich. Denn diese Einsicht kommt ungefähr zehn Jahre zu spät. Entweder ist es drei Wochen am Stück so heiß, dass man kaum weiß, woher man den kühlenden Schatten nehmen soll. Oder es zieht ein Sturm auf, der nicht mehr abreißt und das über einen Monat hin. Fürchterliche Erdbeben, gewaltiger, nicht enden wollender Regen, Hagel jeden Tag, gigantische Winter, beinahe alles Mögliche ist in diesen sogenannten Großwetterlagen, die man erst seit neuestem als erwiesen und amtlich abgestempelt betrachten will, bis heute eingetreten. Hätte man die Bienen befragt, hätte man langst wissen und darauf reagieren können. Es hätte sogar genügt, aus dem Fenster zu schauen.
Die andere Künstlerin, die mich zwar lange, aber nicht genau kennt, sagte ein wenig boshaft: „Ich dachte, das wolltest du immer schon.“

Dann fing ich an, nachzudenken. Wollte ich oder wollte ich nicht? Die Antwort lautet: Ich hätte vielleicht gewollt. Ich wäre womöglich gern ein politischer Künstler geworden, wobei ich nicht einmal weiß, was darunter zu verstehen ist. Günter Grass beispielsweise, dachte ich, ist lange als politischer Schriftsteller anzusehen gewesen. Dann kam ihm eine SS-Vergangenheit dazwischen und seine moralische Integrität war in Frage gestellt. Darüber hinaus verstehe ich nicht viel von politischer Kunst, weder im Großen, noch im Kleinen. Die täglichen Schlagzeilen auf der ersten Seite überfliege ich. Nachdem ein Freund es mir zehnmal erklärt hat, habe ich ungefähr kapiert, was der europäische Rettungsschirm und was staatliche Anleihen sind. Ich habe ein unscharfes Bild, in welchen Ländern gerade „friedliche“ Revolutionen mit den Waffen der nordamerikanischen Regierung betrieben werden. Barack Obama habe ich die Daumen gedrückt. Darüber hinaus weiß ich, wie es zur deutschen Teilung gekommen ist und wie die westdeutsche Regierung unter Adenauer dazu beigetragen hat, und Uwe Johnson schrieb, wie das Ganze ausschaut, wenn man von New York aus darauf blickt.


finnegans bees


Im Jahr 2011 mietete ich von befreundeten Architekten, die beide eine Professur in Südkorea antraten, deren Raum in einem Atelierhaus. Ich hatte mich während einer offenen Ausschreibung selbst um genau diesen Raum beworben, ihn aber nicht bekommen. Ich spürte schnell dessen unsägliche Eigenschaft, im Winter komplett auszukühlen und im Sommer aufzuheizen. Ich fühlte mich, als sei ich entweder im Eisschrank gelandet oder wie Max und Moritz im Backofen. Die Wände waren dünn und das Dach aus Aluminiumblech. Ein immenser Teil davon bestand aus vielfach unterteilten, einfach verglasten Fabrikfenstern. Dreieinhalb Flächen lagen nach außen hin, was die sofortige Angleichung an die Außentemperatur erklärt. Und zu allem Überfluss trennte nur eine dünne Wand den Raum vom benachbarten Atelier. Dort schwärmten zwei junge Maler davon, wie es werden würde, wenn sie endlich berühmt wären. Vor einer internen Ausstellung sprachen sie von einem vollständigen Ausverkauf all ihrer Bilder. Später klagten sie, dass sie kein einziges verkauft hatten. In dem Atelierhaus fanden allerlei Umtriebe statt, ein großes Fest beispielsweise, aber ich beteiligte mich an nichts.
Eine meiner ersten Handlungen dort war, zwei Punkte an gegenüber liegenden Wänden festzulegen. Dahinein bohrte ich tiefe Löcher, klopfte Dübel hintennach und drehte dicke, verschlungene Haken ein. Daran befestigte ich eine Hängematte, die ich mir eigens gekauft hatte. Kam ich also in den Raum, fiel mein Blick zuerst auf diese weißgraue Hängematte, die dort so sanft und einladend hing. Daneben stapelten sich einige Bücher, eines beispielsweise über die Monroe von ihrem zeitweisen Ehemann Arthur Miller. Auf all das ging ich zu und fand mich liegend, lesend und bald schlafend, dann wieder erwachend und so weiter. Ich war dem Sog der Hängematte erlegen, der Müßiggänger vor dem Herrn.


Daneben arbeitete ich dann doch. Ich stempelte, wie sollte es anders sein? Ich hatte vor geraumer Zeit entdeckt, dass fanatische Textarbeiter eine Suchmaschine für Finnegans Wake eingerichtet hatten. Nun kam mir in den Sinn, einmal nachzusehen, wie oft die Worte: Biene, Honig, Bienenhonig, Bienenstock, Bienenvolk und so weiter darin vorkommen. Ich stieß auf einen ganzen Haufen, sicher 40 Textstellen, die genaue Anzahl habe ich nicht im Kopf. Meine Arbeit lag vor mir. Als ein Freund mich besuchte, hatte ich gerade einige gestempelte Blätter der Arbeit „finnegans bees“ aufgehängt und er war erstaunt, wie viel ich arbeitete.
Das Neue daran war, dass ich zum ersten mal das Stempeln, Buchstabe für Buchstabe, entlang einer Leiste, mit der Bienenhaltung in Verbindung setzte. Diesmal stempelte ich jeweils drei Zeilen aus dem Buch und in der mittleren tauchte das Bienenwort auf. Ich fand, es genügte völlig, drei Zeilen aus dem Buch zu präsentieren und sich nicht um ganze Sätze zu scheren. Wer den Wake kennt, weiß, auf wie verschlungene Pfade Joyce den Leser beziehungsweise den Entschlüsselungsarbeiter mitnimmt.

Es ist übrigens von größter Wichtigkeit, dass Finnegans Wake immer wieder in der ursprünglichen Fassung gedruckt wird. Jede Zeile entspricht der Zeile im Erstdruck. Denn wäre es nicht so, gerieten alle Suchenden in ein heilloses Durcheinander, wenn sie bestimmte Textstellen auffinden wollen würden. (Heute druckt Penguin Books mit einem unmöglichen Cover.) Meine Wahl fiel auf die „Times“ als gestempelte Type. Ich gebe zu, ich liebe deren Schriftbild, auch wenn sie so gewöhnlich ist, dass die meisten Grafiker davon gähnen müssen.