kunstherberge birkenau





Vor kurzem nahm ich an der Ausstellung kunstherberge birkenau Teil. Das Thema lautete „Vergänglichkeit und Werden“. Zwei desolate Abbruchhäuser waren unmittelbar vor ihrem sogenannten Vergehen zur Verfügung gestellt worden. Wegen der Nähe zum Rosengarten, in dem meine Bienen stehen, aber nicht nur deshalb, zeigte ich erneut eine kleine Arbeit über Bienen. Es ist eine zarte, nur mit Bleistift gezeichnete Schrift, deren Buchstaben von Stegen gehalten werden, auf Aluminiumblechen. Sie hingen in wenigen Zentimetern Entfernung vor einer tapezierten Wand. Der Zweck, der in der Schrift begründet liegt, ist tatsächlich, ausgeschnitten zu werden. Nur unterließ ich es. Es schien angemessen, dass die Vorform einer Arbeit hier präsentiert wurde, gleichsam die Simulation des Werdens. Das genügte für diesen Augenblick und war für diesen schimmeligen, herunter gekommenen Raum das Richtige. Und so begnügte ich mich mit einer zurückhaltenden Andeutung. Doch eines Tages, nahm ich mir vor, wollte ich denselben Spruch in einer ähnlichen Type so präsentieren, dass das Licht, das meistens schräg von oben einfällt, die Worte auf die dahinter liegende Wand schreibt. Der Satz lautete wieder: CON APE SI VOLA
Vielleicht ist damit schon zu viel vom Sinn der nicht ganz durchgeführten Arbeit verraten. Wichtiger für diesen kurzen Bericht ist, dass die Ausstellung mit zahlreichen Künstlern befüllt war, die sich während einer Reihe von Eröffnungen abwechselten und die einzelnen Räume bespielten. Ich war einer von denen und kannte viele der anderen. Hier war es falsch, weiter zu gehen, als bis zu einem vorläufigen Stadium. Daher werden die meisten Besucher nur die Bleche ohne die Schrift in dem halbdunklen Zimmer wahr genommen haben. Sie werden die Stirn gerunzelt und gedacht haben: was für ein langweiliger Unsinn! Macht nix, dachte ich. Natürlich geht es immer um die Wurst, und das Ganze war, obwohl ich mich einiger Kritik erwehren musste, in diesem Stadium schon fertig. Vielleicht war die gezeichnete, noch nicht ausgeschnittene Schrift sogar schöner, als die bis zum Ende ausgeführte Arbeit. Die Bleche allerdings verschwanden nach der Ausstellung umgehend in meinem Lager.

Mit einer der teilnehmenden Künstlerinnen, die ich zwar lang, aber nicht gut kenne, ergab sich folgender befremdliche Wortwechsel:
Ich sagte nachdenklich und ernsthaft: „Seltsam, ich wollte nie politische Kunst machen. Jetzt haben sich die Umstände geändert und meine Kunst ist sozusagen automatisch eine politische geworden.“
Ich spielte damit auf die Auswirkungen des Klimawandels an. Erst vor einigen Tagen war ein entsprechender Artikel in der Zeitung gestanden. Wissenschaftler hätten jetzt festgestellt, hatte er verkündet, dass die klimatischen Veränderungen Großwetterlagen bewirkten. Was für armselige Tröpfe, dachte ich augenblicklich. Denn diese Einsicht kommt ungefähr zehn Jahre zu spät. Entweder ist es drei Wochen am Stück so heiß, dass man kaum weiß, woher man den kühlenden Schatten nehmen soll. Oder es zieht ein Sturm auf, der nicht mehr abreißt und das über einen Monat hin. Fürchterliche Erdbeben, gewaltiger, nicht enden wollender Regen, Hagel jeden Tag, gigantische Winter, beinahe alles Mögliche ist in diesen sogenannten Großwetterlagen, die man erst seit neuestem als erwiesen und amtlich abgestempelt betrachten will, bis heute eingetreten. Hätte man die Bienen befragt, hätte man langst wissen und darauf reagieren können. Es hätte sogar genügt, aus dem Fenster zu schauen.
Die andere Künstlerin, die mich zwar lange, aber nicht genau kennt, sagte ein wenig boshaft: „Ich dachte, das wolltest du immer schon.“

Dann fing ich an, nachzudenken. Wollte ich oder wollte ich nicht? Die Antwort lautet: Ich hätte vielleicht gewollt. Ich wäre womöglich gern ein politischer Künstler geworden, wobei ich nicht einmal weiß, was darunter zu verstehen ist. Günter Grass beispielsweise, dachte ich, ist lange als politischer Schriftsteller anzusehen gewesen. Dann kam ihm eine SS-Vergangenheit dazwischen und seine moralische Integrität war in Frage gestellt. Darüber hinaus verstehe ich nicht viel von politischer Kunst, weder im Großen, noch im Kleinen. Die täglichen Schlagzeilen auf der ersten Seite überfliege ich. Nachdem ein Freund es mir zehnmal erklärt hat, habe ich ungefähr kapiert, was der europäische Rettungsschirm und was staatliche Anleihen sind. Ich habe ein unscharfes Bild, in welchen Ländern gerade „friedliche“ Revolutionen mit den Waffen der nordamerikanischen Regierung betrieben werden. Barack Obama habe ich die Daumen gedrückt. Darüber hinaus weiß ich, wie es zur deutschen Teilung gekommen ist und wie die westdeutsche Regierung unter Adenauer dazu beigetragen hat, und Uwe Johnson schrieb, wie das Ganze ausschaut, wenn man von New York aus darauf blickt.