Lehrbienenstand


Ab dem Frühjahr 2006 begleitete Ursula, die jüngere Schwester eines Freundes und Studienkollegen, mich an meinem Stand und stellte im Jahr drauf ihren eigenen Kasten dazu. Ich kannte sie schon lange, im Grunde, seit sie vielleicht zwanzig Jahre alt gewesen war. Sie kam in eine Lage, in der sie mehr Zeit hatte und wollte die Bienenhaltung erlernen. Sie ist Ärztin und konnte sich alles viel schneller merken als ich, was mir oft Mühe bereitete, nicht nur weil sie flugs vorwärts kam, obwohl sie genauso bockig (wie ich früher) alles hinterfragte, sondern auch, weil ich oft nicht wusste, was ich bereits erklärt hatte. Auf manche Tatsachen oder Beobachtungen musste ich andererseits ein zweites oder drittes mal hinweisen, damit sie Gewicht bekamen. Sie neigte, wie viele Beginner, dazu, ihre Bienen im Herbst zu überfüttern, aus Sorge, sie könnten im Winter verhungern. Doch das Ergebnis war, dass die Königinnen im Frühjahr zu wenig Platz fanden, um ihre Eier abzulegen. Also mussten wir Anfang April mindestens vier Futterwaben aus ihrem Stock ziehen und gegen leere tauschen, damit dieser offene Raum wieder entstand.

Sie hatte sich einen Holzstock aus gezinkten Tannenbrettern, die etwa drei Zentimeter dick waren, bei einer Behindertenwerkstatt gekauft. Später kaufte ich bei derselben Werkstatt ebenfalls einen Stock. Dort brannten sie gewöhnlich ein verschrobenes Logo in jede Zarge. Doch wir bestanden darauf, sie ohne das Brandzeichen zu bekommen. Der ganze Stock, denn davon fand ich kürzlich beim Aufräumen eine Rechnung, kostete samt Boden, Deckel und drei Zargen 115.- €. Das Problem dieser Beute liegt auf der Hand. Ihr Falz senkt sich, wenn man draufsieht, nach innen und, obwohl die Zargen dicht aufeinander sitzen, läuft Wasser hinein. Die Rähmchen waren im Frühjahr an den Rändern komplett verschimmelt, dort stand das Wasser, und die Randwaben überzog ein blaugrüner Flor. Zwar benutzte Ursula auch das Zandermaß, aber ihre Zargen passten nicht auf meine. Das führte dauernd zu Verwicklungen und ihre Etagen waren teuflisch schwer. Im Sommer, wenn die obersten Räume voll Honig staken, bekam man sie kaum herunter.
Ursula hatte den Vorteil, keinen eigenen Stand eröffnen zu müssen, sondern konnte sich langsam an die Bienenhaltung heran tasten. Brauchte sie ein Volk, machte ich einen Ableger von einem der meinen und sie sah zu. Im Jahr 2012 bekam sie ihr erstes Kind, so dass sie die Imkerei wieder aufgeben musste. Doch immerhin hatte sie einige Jahre lang gelernt und wusste Bescheid. Genau genommen hatte ich nichts anderes getan, als ihr einen Teil dessen zu übertragen, das Franz mir gesagt hatte. Später dachte ich, dass darin der Auftrag besteht.
Eines Tages, nachdem Ursula einige Jahre an meinem Stand gelernt hatte, war sie im Begriff, bei ihren Bienen etwas grundlegend falsch zu machen. Ich wollte ihr das Werkzeug aus der Hand nehmen, doch sie hielt es zurück und sagte:
„Ich will jetzt meine eigenen Fehler machen.“