Aus dem Nachlass

Franz Wagner Man kann Bienen auch in einem Gummistiefel halten. Franz Wagner wurde im Jahr 1927 geboren, er war Rumäniendeutscher und lebte im Banat. Er kämpfte nicht im Krieg, wurde bei Kriegsende aber von der russischen Armee gefangen genommen, in ein Lager deportiert und gefoltert. Später, als er ins Banat zurück gekehrt war, erlitt er einen epileptischen Anfall, man steckte ihn in die Psychiatrie und verordnete ein viel zu starkes, heute kaum mehr gebräuchliches Medikament. Er hatte lebenslang Angst, geschlagen zu werden. Im Banat heiratete er, bekam einen Sohn und wurde Meister einer Eisengießerei in Temeswar. Er hielt mit seinem Schwiegervater 400 Bienenvölker im Nebenberuf. Mit seiner zweiten Frau, dem zweiten Sohn und der Tochter emigrierte er während der Siebziger Jahre, zu Zeiten des Diktators Ceaușescu, nach Deutschland. Sie durften keine Dokumente mitnehmen, dafür Hausrat, und Franz, der ein Bastler war, schaffte es, sie in einem Nudelwalker zu verstecken. Dadurch war ihnen hier eine Rente sicher. In München angekommen arbeitete er als Hausmeister in der Akademie der Bildenden Künste. Dort lernte ich ihn kennen. Er stellte mir im Jahr 1992 die ersten drei Völker in den Akademiegarten. Ebenso wie er mir sein Wissen weitergab, übertrug ich meines später an eine junge Frau, eine Ärztin, die ich seit Jahren kannte. Und ebenso, wie ich mich nach geraumer Zeit von Franz löste, nahm sie mir eines Tages das Werkzeug aus der Hand und sagte: „Ich will jetzt meine eigenen Fehler machen.“ Franz´ hoch umzäunter Bienenstand lag im Schweizerholz, einem Wäldchen nördlich des Autobahnrings, nahe der Schleißheimer Flugwerft. Dort hielt er um die 30 Völker. Franz setzte ursprünglich selbst gebaute, dann auch gekaufte Kästen ein. Er pinselte jede freie Fläche, sei es im Hobbykeller, auf dem Balkon, als auch im Bienenhaus (und so auch die Bienenkästen) mit stumpfer Abtönfarbe an, was ich für sein Markenzeichen hielt. Da sie aus unterschiedlichen Systemen bestanden, konnten die gekauften Zargen mit den von ihm gebauten nicht getauscht werden. Die selbst geschreinerten Kästen standen im Haus, da sie vom Regen aufquollen, und die anderen im Freien. Anfang des Jahres 2002 bezog er ein neues Bienenhaus in Sendling. Ich hatte anfangs geholfen, zu renovieren. Aber er benutzte Asbestwolle zur Dämmung, spannte Plastikfolie auf alle Flächen, klebte PVC als Fußboden und schraubte gewellte Asbestplatten aufs Dach. Ich hatte erfolglos versucht, ihn davon abzubringen, und schließlich war ich weg geblieben. Mit dem neuen Bienenhaus stellte er auf einheitliche Beuten um und da ein Freistand nicht möglich war, transferierte er die gekauften Kästen nach innen. Jede Zarge war nun mit jeder anderen kombinierbar. Das bildete eine erhebliche Erleichterung für ihn. Allerdings zerschlug er die älteren Bienenkästen, die er selbst gebaut hatte, und warf sie in den Container. Das Anzuchtkästchen mit fünf Waben und dann nochmal fünf darüber ist für kleine Völker bestimmt. Man sagt, sie entwickeln sich in der räumlichen Beschränkung besser. Danach werden sie in einen großen Kasten umgesetzt. Franz starb im Jahr 2004 an Leukämie.
Ezra Pound This liquid is certainly a property of the mind aus dem Canto 74 Ezra Pound wurde 1885 in Idaho geboren. Er ging als junger Mann nach Europa, lebte abwechselnd in England, Frankreich und schließlich in Italien. Da er früh berühmt geworden war, besaß er etwas Geld und unterstützte Künstler, die noch nicht so weit waren. So verhalf er beispielsweise James Joyce zur Erstveröffentlichung des Ulysses. Pound übersetzte als erster Texte von Konfuzius aus dem traditionellen Chinesisch ins Englische. Er kommentierte das japanische Nō-Theater, eine uralte, rituelle Form des Schauspiels, mithilfe der Aufzeichnungen von Ernest Fennelosa. Er verfasste eine Unmenge Literatur, aber sein Lebenswerk sind die Cantos. Von ihnen schrieb er 120 Stück, doch er betrachtete diesen Block immer als unvollendet, wenngleich ein Projekt dieser Art, ursprünglich auf 40 Jahre ausgelegt, immer unvollendet bleiben muss. Pound unterhielt Freundschaften zu allen wichtigen Schriftstellern seiner Zeit und zu zahlreichen Bildhauern und Malern und Musikern. Pound war Faschist und Anhänger Mussolinis. Während des zweiten Weltkrieges wohnte er in Italien. Er verbreitete über Radio Rom, publizistisch und in seinen Cantos antiamerikanische, rassistische und antisemitische Propagandareden, deren Gegenstand der Zinswucher und die jüdische Beteiligung daran waren. Mitte des Jahres 1943 wurde vom amerikanischen Kriegsministerium gegen ihn Anklage wegen Hochverrats erhoben. Am Ende des Krieges war Pound sechzig Jahre alt und stellte sich freiwillig. Er glaubte, er könne Beamte vom FBI darüber belehren, wie ein praktikables Finanzsystem auszusehen habe. Er wurde daraufhin zusammen mit Schwerverbrechern ein halbes Jahr in einem Hochsicherheitsgefängnis bei Pisa gehalten. Das Gefängnis bestand aus einer Reihe von Hundezwinger-artigen Käfigen, 1,8 Meter mal 3 Meter, was heißt jeweils einer Betonplatte als Unterlage, einem Drahtkäfig als Seitenwänden und einem Holzdach mit Teerpappe. Dazu kam eine einfache Wolldecke. Man findet diese Form heute in Guantanamo. Pound wurde, nachdem ein psychischer Zusammenbruch diagnostiziert worden war, ins Sanitätszelt verlegt und schrieb auf einer Militärschreibmaschine die Pisaner Cantos. Wie ich es mir denke, war er in viele einzelne Personen aufgesplittert und jede davon schrieb sozusagen ihren Teil. Ich habe überlegt, wie es möglich ist, dass man sie als derart inkohärent empfindet, dass jeweils nur ein paar Zeilen zusammengehören, Gras, das unter den Rändern des Zeltes hervor wächst, Konfuzius, Luchse, die nachts durchs Lager schleichen, griechische Götter und beispielsweise neben scharfsinnigen Beobachtungen niedrigste Gesinnung zum Ausdruck kommt, und womöglich macht gerade das sie so bedeutend. Das halbe Jahr barbarischer Gefangenschaft verursachte in Pound einen fast vollständigen und irreparablen psychischen Schaden. Ende Oktober 1945 wurde er nach Amerika deportiert, für unzurechnungsfähig erklärt und bis ins Jahr 1958 in die Psychiatrie gesteckt. Dort überarbeitete er zwar die Pisaner Cantos, schrieb weitere und übersetzte Konfuzius, und er empfing bedeutende Besucher, darunter Hemingway und T.S. Eliot, die schließlich das Ende des Klinikaufenthalts erwirkten, doch er war längst gebrochen. Dennoch gelten die Pisaner Gesänge „als die wohl größte Dichtung“ des Zwanzigsten Jahrhunderts, schreibt Thornton Wilder. Nach seiner Freilassung als unheilbarer, aber nicht gemeingefährlicher Geistesgestörter kehrte er nach Italien zurück und wurde unter die Vormundschaft seiner Frau gestellt. Im Jahr 1967 saß er im Atelier von Arno Breker Modell und im selben Jahr drehte Pasolini einen Film über ihn. Er äußerte spät, dass er seinen Antisemitismus bedauere. Seine letzten Jahre verlebte er beinahe sprachlos bei seiner Tochter unterhalb von Meran. Im Nachwort zu einer Neuausgabe der gesamten Cantos wird Pound als „schwieriges Individuum“ bezeichnet. (Was fast als Witz zu deuten ist.) Pound starb im Jahr 1972. Sein Grab befindet sich auf der Begräbnisinsel San Michele in Venedig.