Eine prägende Besonderheit im Vorfeld dieser Ausstellung war, dass ich jahrelang im gegenüber liegenden Haus gewohnt hatte. War ich unten aus der Haustür getreten, war selbst ein flüchtiger Blick nicht umhin gekommen, die jeweils aktuelle Ausstellung zu streifen. Da der Raum im Vorderhaus liegt und ehemals ein Laden gewesen ist, mit ausgiebigen Schaufensterflächen und einem länglich geschnittenen Präsentationsraum, fiel es mir schwer, zu verstehen, warum diese örtliche Gegebenheit noch kein Künstler aufgegriffen hatte. War sie zu banal? Jedenfalls war in mir lange der Wunsch gereift, dort erneut eine Ladensituation zu inszenieren. Und als es dazu kam, überlagerten sich die künstlerischen Motive mit ganz pragmatischen, wie zwei sich ergänzende Schablonen, die erst übereinander gelegt ein vollständiges Bild ergeben. Ich hatte wirklich etwas zu verkaufen. Das war Honig, genauer Stadthonig, aus meiner Bienenhaltung. Die Ausstellung wurde im Sommer 1997 eröffnet. Die Bienen hielt ich da im fünften Jahr. Man muss es sich vorstellen: Plötzlich stapeln sich hundert Kilo feinster Honig pro Jahr im Keller. Die Freunde und Bekannten tun, was sie können, aber mehr als vierzig Kilo wird man im ersten Jahr kaum los. Dann bessert sich die Lage, doch der anfängliche Honigberg, alles in Eimer abgefüllt, muss noch abgetragen werden. Die verschlungenen Kanäle für den Verkauf öffnen sich langsam. Heute ist das einfacher. Es gibt stetige Großabnehmer und überzeugte Zwischenhändler, Freunde, die jede Menge Leute kennen und mehrere häufig besuchte Cafés, die den Vertrieb auffächern. Selbst die unmöglichen Sommer der Jahre 2007 und 2008, in denen die Bienen 330 Kilogramm herangeschafft hatten, ließen sich auf diese Weise bewältigen.
Wie die Abbildung zeigt, stellte ich ein acht Meter langes Stahlregal auf und füllte es mit meinen verschiedenen Sorten und Jahrgängen. Das Mengenangebot reichte von 500-Gramm-Gläsern bis zu mittelgroßen Eimern je 12,5 Kilogramm. Die gigantischen 40-Kilo-Gebinde, die wohl keiner auf dem Frühstückstisch haben will, stellte ich erst gar nicht hin, sondern füllte sie in Gläser und kleinere Eimer ab. Wieviel Honig schließlich im Angebot war, habe ich vergessen, aber es war ein sogenanntes Schwerlastregal. Dazu führte ich die üblichen Ladenöffnungszeiten ein, gab bereitwillig jedem Auskunft und fertig war das Projekt Honigladen.
Die Sache lief nicht schlecht. Man kannte mich auf einmal.
„Scheuerecker, mhm? Ist das nicht der mit den Bienen?“
„Richtig. So ein großer mit halber Glatze“
„Ist er nett?“
„Kann ich nicht sagen.“
Und ich verkaufte jede Menge Stadthonig und erschloss mir neue Käuferkreise, vom üblichen Kunstpublikum über die Hausbewohner bis hin zur Laufkundschaft.
Das Motiv, das später auch das Etikett bestimmte, tauchte bereits
auf der Einladung zum Honigladen auf. Es ging mir
da nicht ganz so, wie mit dem Stempel. Ich zeichnete alles sorgfältig
und nach allen Richtungen hin durch. Aber ich musste mich weniger
bremsen. Der apicultura-Stempel wurde zu einem Markenzeichen, gerade als wollte
ich ein Produkt bewerben, dessen Name sich keinesfalls dem Gedächtnis
des Betrachters entziehen darf. Mir entglitt dann die Stempelei und
ich setzte ihn, nach meinem Dafürhalten, wenn ich heute die Blätter
durchsehe, zu oft ein. Im Übrigen wurde mir während der Durchsicht
klar: Den Namen des Projektes oder des Labels hatte ich festgeklopft,
bevor ich mit der Imkerei begann. Es war wie immer: Zuerst stehen die
Begriffe, dann wird geschlampt. Dass die Geschichte
jedoch so lang andauern und so viele Kapitel umfassen würde, ahnte
ich damals nicht. Dennoch wüsste ich keinen anderern haltbaren Namen
dafür.
Projekt Honigladen
Nisttürme
Die wild lebenden Honigbienen unterscheiden sich nicht von jenen,
denen wir Unterschlupf gewähren. Bienen lassen sich im Grunde nicht
domestizieren. Selbst wenn man sie dazu bringt, Waben so auszubauen,
wie man es ihnen vorgibt, und sie zu kultivieren, sie zu halten und
zu pflegen, wie es ihnen zukommt, bleiben sie sogenannte Wildtiere.
Das macht den Umgang mit ihnen verführerisch, denn man steht in
direkter Verbindung mit dem, was man, sozusagen über den Kamm
geschoren, als Natur bezeichnen könnte. Daher beispielsweise werden scheinbar domestizierte Bienen, die als Schwarm aus dem Stock ausgezogen sind, wieder an wild
anmutenden Plätzen Unterschlupf suchen. Oder umgekehrt können sie in einem Baum hängen und man fängt sie, man schlägt sie in eine Beute ein
und sie bauen dort, als lebten sie wild.
Das Stipendium war für den Städtischen Raum ausgeschrieben,
speziell für Parks, wobei ich sofort an entlegene Spazierwege im
Englischen Garten dachte. Bienen stören dort niemanden, aber für
Spaziergänger können sie einen Aufschluss bieten. Mein Projekt, mit
dem ich wieder einmal das städtische Projektstipendium oder
irgendein anderes, bei dem es Geld zu erhalten gab, gewinnen wollte,
sah vor, Nisttürme für wild lebende Honigbienen aufzustellen.
Letztlich waren es Litfaßsäulen, die ich verwenden wollte oder es
wären Abwasserrohre gewesen, vier Ringe davon übereinander gelegt.
Dazu wollte ich einen schweren, schirmenden Deckel obenauf legen. Relativ weit
oben, jedenfalls unerreichbar für unten stehende Personen, sollten
jeweils drei schießschartenartige, längliche Öffnungen in den
Beton geflext werden. Die nach innen weisenden Flächen wollte ich
dabei farbig anstreichen, als Anflughilfe für die Bienen, und die
Öffnungen sollten schließlich so schmal sein, dass die Bienen in
die Lage gebracht würden, sie zu verteidigen. Ins Innere wollte ich
einen Korb hängen, der drei gleich große, geschlossene Räume
anbieten sollte. Diese hätten in etwa eine stehende Dreiecksform gehabt und
ihre Ränder zur Säule hin, im Inneren, wären verkittet gewesen.
Denn im Herbst, wenn der Honig knapp wird, verengt der Imker die
Fluglöcher, damit ein Volk sein Futter verteidigen und das eine
nicht das andere ausrauben kann. Im Zuge von Räuberei stechen sich
jährlich haufenweise Völker gegenseitig tot. Im Inneren der Räume
hätten sich die Bienen ihr Nest im Wildbau anordnen können. Ich
hätte nicht vorgehabt, den eingetragenen Honig zu ernten. Er wäre
die Nahrung für den Winter gewesen und da in der Stadt die Menge des
Frühjahrshonigs bereits den Bedarf für den Winter deckt, wären
umgehend Schwärme entstanden. Diese hätte ich beispielsweise, wenn
ich sie gefangen hätte, in benachbarte Räume einschlagen können.
Die Besiedelung der insgesamt fünf Säulen, die ich plante, wäre im
Nu vollzogen gewesen.
Nur die Behandlung gegen die Milbe hätte ich jedes Jahr im Herbst
unternommen.
Der Konjunktiv in meinem Text weist darauf hin, dass ich keine
Fördergelder bekam. Allerdings bleibt das abgebildete Gipsmodell mit
Deckel, das die späteren Proportionen nachstellt. Es ist
eingelagert, aber ich kann es bei Bedarf heraus ziehen. Dazu habe ich
Zeichnungen und Collagen. Das Schöne an diesen Arbeiten ist, dass
sie fortbestehen. Sie kommen über das Modellstadium nicht hinaus,
aber auf lange Sicht gesehen, ist das nicht tragisch. Übrigens war
ich später nicht sicher, ob der Wettbewerb selbst über die erste
Planung hinaus kam. Denn ich reichte zwar mein Modell und Zeichnungen
und die dazu gehörige Beschreibung ein, doch ich erhielt den ganzen
Packen schnell zurück und hörte nie wieder von der Sache. Es könnte
also gewesen sein wie im Jahr 1999 bei der Ausschreibung zum
Nordwest-Sammelkanal. Erst wurde groß posaunt, dann versiegte das
Geld.