Beisetzung


Franz´ Beerdigung fand auf dem Ostfriedhof statt. Es war Ende Januar. In meinem Kalender steht -2° C. Leichter Schnee. Der Treffpunkt war in der Aussegnungshalle. Ein steinernes, pompöses und irgendwie absurdes Bauwerk. Drinnen schien es kälter als draußen. In einer Reihe von Räumen entlang des Hauptgangs, hinter großen Glasscheiben standen die Särge. Wie in einem Terrarium, dachte ich. Sobald ich zu einer Beerdigung komme, setzen sich sofort widrige Gedanken in meinem Kopf in Bewegung. Jeder Sarg war mit Blumen und Kränzen geschmückt und stand auf einem Wägelchen, an dem große Räder schlackerten. Damit sich die holprige Strecke zum Grab ohne Mühe zurücklegen ließ. Beim Anblick geschlossener Särge stelle ich mir immer die selben Fragen: Liegt der Gestorbene jetzt in dieser Kiste? Oder ist sie leer? Oder liegt jemand anderes darin? Und was ist mit demjenigen, wenn sein Körper darin liegt?
Von den Leuten, die zu Franz´ Beisetzung gekommen waren, kannte ich die meisten nicht. Sie standen in Grüppchen im Gang. Ich dachte zunächst, sie gehörten zu einem anderen Toten. Aber während ich vor der massiven Scheibe ausharrte und den Sarg anstarrte, lauschte ich auf ihre Gespräche. Manche sprachen Rumänisch. Es mussten Freunde und Verwandte sein. Dann die Familie. Sie erkannten mich zögerlich und flüsterten einander zu, wer ich war. Der mit den Bienen. Für Katharina hatten sie einen Stuhl organisiert. Ich begrüßte sie, sagte ihr mein Beileid und strich ihr über die Backe. Dann verzog ich mich an den Rand, zu Leuten, die ich von der Akademie kannte.
Friedhöfe, Beerdigungen. Es wäre absurd zu sagen, dass ich sie nicht mag. Aber mir fehlt das Gefühl für ihre Berechtigung. Stattdessen huschen mir unsinnige Gedanken durch den Kopf. Zum Beispiel stellte ich mir die Frage, wie es den Totengräbern gelungen war, in der gefrorenen Erde ein Loch auszuheben. Sicher hatten sie einen kleinen Bagger irgendwo stehen und ich sah mich dezent nach einem Geräteschuppen um. Auf Friedhöfen kommt mir jeglicher Bezug zum Tod abhanden. Trauer stellte sich erst am Schluss ein, als ich wegging. Man hatte alle pauschal eingeladen, an einem Imbiss in der Gaststätte sowieso teilzunehmen. Aber ich fühlte mich nicht besonders zugehörig und dachte: Es gibt keinen Grund die Familie jetzt kennenzulernen, nachdem Franz die Verbindung jahrelang verhindert hat.
In der Aussegnungshalle sind Täfelchen angebracht, in Augenhöhe neben den Glasscheiben. In einen kleinen Rahmen werden Zettel gesteckt betreffs der Beerdigungsformalien. Auf dem Blatt von Franz stand:

         Wagner          Franz
         Arbeiter         7.7.27 - 23.1.04

        Beisetzung     13.00 h


aus den Honiggeschichten