Nach der Ausstellung in Mailand, die mich wegen der langen Vorbereitungszeit erschöpft hatte, fuhr ich eine Weile nicht nach Italien. Zwar telefonierte ich gelegentlich, aber ich konnte mich nicht aufraffen. Stefano Soddu und ich hatten ausgemacht, zum Herausgeber der Edition Pulcinoelefante zu fahren. Seine Druckerei liegt 30 Kilometer von Mailand entfernt auf dem Land. Wie ich später feststellte, benutzt er ein leicht chamoisfarbenes, sicher 300 Gramm starkes Bütten mit gerissenen Rändern. Es ist industriell hergestellt und stammt aus der deutschen Papiermanufaktur Hahnemühle. In jedes Blatt soll ein Hahn, den ich jedoch nicht entdecken konnte, als Wasserzeichen eingelassen sein. (Im Internet erfährt man, dass die Hahnemühle während des Zweiten Weltkriegs vom Reichssicherheitshauptamt angewiesen wurde, das britische Pfund zu fälschen.) Die Edition Pulcinoelefante, zu der Stefano mit mir fahren wollte, besteht seit dem Jahr 1982. (Pulcino heißt übrigens Küken.) Dort gehe alles sehr gemächlich zu, betonte er. Die Anzahl der jährlich produzierten Hefte ist jedoch enorm. Bis zum Februar 2014 waren über 9.000 Hefte gedruckt worden. Jedes wird in nicht mehr als 30 bis 40 Kopien hergestellt. Sie bestehen aus zwei Blättern im Format 27 Zentimetern mal 19,5 Zentimetern, die gefaltet und vermittels Fadenheftung verbunden sind. Dadurch kommen acht Seiten zustande. Und vier Seiten davon waren leer, zumindest bei dem von Stefano und mir gestalteten Heft.
Einige fertige Exemplare wandern sofort an Sammler oder an öffentliche Bibliotheken.
Damals bekam ich die leeren Seiten geschickt und sollte dafür eine kleine Papierarbeit herstellen. Ich entschied mich natürlich für Goldpapier, wie ich es in der Ausstellung verwendet hatte. Es ist acht Zentimeter breit und dreizehn Zentimeter lang. Diese beiden Zahlen tauchen anfangs der Fibonacci-Reihe auf, die ich während der Ausstellung bemüht hatte. Ich stach mit einer Stecknadel eine Schablone in Aluminiumblech. Dabei gestaltete ich die gedrehte Anordnung der Samen einer Sonnenblume nach. Sie wird als explizite Pflanze genannt, die in ihrem Aufbau, ähnlich wie bestimmte Muscheln, den Goldenen Schnitt benutzt. Danach legte ich die gesammelten, zugeschnittenen Blätter darunter und stach mit einer Stecknadel, deren Spitze ich angefeilt hatte, durch die vorgegebenen Löcher. Wie auf der Abbildung zu sehen ist, kam ein rundes, gedrehtes Muster zustande, das etwa sechseinhalb Zentimeter im Durchmesser besitzt, und da die Blätter von hinten nach vorne durchstochen sind, kann man mit dem Finger eine raue Oberfläche fühlen. Auf die Rückseite jedes einzelnen Blattes schrieb ich mit roter Stempelschrift: Girasole, den italienischen Ausdruck für Sonnenblume, und ich klebte sie, wie Stefano mich angewiesen hatte, an ihrem oberen Rand mittig auf die Seite sieben der Edition. Daher trägt die Edition den Namen Girasole. Stefano schrieb ein Gedicht dafür. Auch das ist abgebildet.
Nachdem die Edition fertig gestellt war, bekam ich neun Stück davon zurück geschickt. Ich halte sie für außerordentlich kostbar. Wenn ich die Namen der berühmten Künstler betrachte, die dort Arbeiten gestaltet haben, wird mir ganz flau.