Inselbelegstelle Immling


Die Mutter meiner Tochter, die als Kunsterzieherin arbeitet, die aber in der gleichen Klasse wie ich studiert hatte, wenngleich etwa eine Künstlergeneration später, hatte den Plan gefasst, einmal selbst eine Ausstellung auszurichten. In ihr hatte lange ein Titel rumort: Freunde der Plastik. Es sollten Bildhauer und Plastiker vertreten sein, deren Gemeinsamkeit war, dass ihre Arbeiten, selbst wenn sie drinnen präsentiert worden wären, beispielsweise als Modelle, auf den Außenraum, in diesem Fall einen Teil des Chiemgaus, bezogen gewesen wären. Weiter sollten die Arbeiten eigens für den Ort komponiert sein und in der Gegenüberstellung bestehen. Während eines Jahres würden zwölf Künstler, in drei Vierergruppen, ausstellen. Zu den anfänglichen vier gehörte ich. Als Untertitel fand ich: Der erste Angriff auf die Situation.

Die Mutter meiner Tochter wollte sich um den Ort und die Finanzierung kümmern. Ich würde versuchen, die meisten der Künstler zu gewinnen. Künstler müssen mindestens ihre Arbeiten transportieren können (und meistens auch noch etwas essen). Zuerst hatte sie das Schloss Langbürgen im Auge, ein geducktes, altes (feuchtes) Gebäude, das jedoch nach hinten hinaus, zum Schlosssee eine wunderbare Terrasse öffnet. Doch nach vorne wehrt es sich mit einer hohen Mauer gegen die Schnellstraße. Meistens hängen darin Ausstellungen mit altbackenen Chiemseemalern. Soweit ich wusste, war es im Besitz der Gemeinde und von dort konnte man nichts erwarten. Darauf trat sie mit dem Inhaber des Gutes Imling in Verbindung. Er war sowas wie ein Großer Mann da draußen. Soweit ich mich erinnere, war er ein Opernsänger, von dem es wohlmeinend hieß, er habe seine Stimme verloren. Jetzt führte er seine musikalischen Aktivitäten auf der ländlichen Ebene durch. Er hatte Sponsoren gesammelt, mit deren Hilfe er das ehemalige Gut inne hatte. Dort erwarten einen wenige Häuser, ein paar Scheunen und Ställe. Tiere bekamen ihr Gnadenbrot, hieß es. Ein altes Lama stellte sich hoch erhobenen Kopfes vor den Zaun und funkelte die knipsenden Besucher an. Dann spuckte es ihnen zielsicher auf die Linse.

Der Verwalter in Imling erzählte mir, dass das Wort vermutlich zunächst Immling geheißen und einen Ort für Bienenhaltung bezeichnet habe. Das Gut kam mir wie eine Insel mitten im Wald vor. Es konnte früher tatsächlich als Belegstelle fungiert haben. Man fuhr lange auf einer geschotterten Piste und kurz bevor man den Glauben verlor, dass man irgendwohin gelangte, tauchten die Gebäude auf.

Als Belegstelle wird eine Station bezeichnet, wo Bienenköniginnen von Drohnen einer bestimmten Rasse besamt werden. Zucht wird von manchen Imkern, wie ich es schon gesehen habe, in Kiesgruben hobbymäßig betrieben. Das ist häufig ein furchtbarer Unsinn. Andere Imker verbringen ihre unbefruchteten Königinnen auf Berge, wo echte Belegstellen eingerichtet sind. Der Wendelstein ist so einer. Dort wird ihnen der Samen reiner Drohnen zur Verfügung gestellt. Das kostet je nach Bienenrasse mehr oder weniger. Die hier heimische carnica, die vom Wendelstein aus verbreitet wird, gehört zu den billigsten Sorten. Sicher für die Königinnen ist die Inselbelegstelle. Norderney käme da in Frage. Bienen fliegen nicht übers offene Meer. Neun Monate vor der Anlieferung muss zusammen mit der "Seuchenfreiheitsbescheinigung" ein "amtstierärztliches Gesundheitszeugnis" eingeholt werden. Später transportiert eine eigens darauf abgestellte Spedition die Ableger.






Mein plastischer Einfall bezog diese Sachverhalte ein. Über eine Wiese hinab wollte ich einfach zusammen genagelte Kästchen an hölzernen Pfählen befestigen, die in den Boden gerammt waren. Wie auf dem Bild zu sehen, wären sie mit bunt angestrichenen Seiten, vielleicht auch mit Zahlen gezeichnet gewesen.

Allerdings teilte uns der ehemalige Opernsänger kurz vor dem Anlauf mit, dass die Gelder verschwunden waren. Ein wichtiger Sponsor sei abgesprungen, lamentierte er. Er habe kaum genug Mittel, um seine Darsteller zu bezahlen. Daher war unser gesamtes Vorhaben storniert. Und die Mutter meiner Tochter brachte nicht den Ehrgeiz auf, noch einen dritten Ort zu suchen.