Fliederquartier


Im Jahr 2013 begann die Blüherei wie üblich verfrüht. Die meisten werden sich bereits gewöhnt haben, dass die Zierkirschen ihre hauchdünnen Blütenblätter entfalten, obwohl es tagsüber kalt und windig ist und Nachtfröste fallen. Und ich frage mich, ob ich ein Anachronist bin, denn Jahr für Jahr reagiere ich gleich unverständig und nehme die entgleisten Blühzeiten, die den Bienen zu schaffen machen, persönlich. Die Fliederblüte beispielsweise ordne ich beharrlich dem Wonnemonat zu wie man sich das Eis unter den Eisbären denkt. Dennoch war ich gezwungen, einige bislang feststehende Umgangsweisen im Denken aufzuweichen und in der Handhabung zu ändern.
Im Mai 2013 regnete es beinahe durchgehend und eine weiß blühende Esskirsche, die unglaublich süße, fast schwarze Früchte hervor bringt, lieferte nur verfaulte Klumpen. Des Regens halber, mutmaßte ich, könnte alles nach hinten ins Jahr hinaus verschoben sein. Der Sommer wurde dann lau. Daher schleuderte ich zum ersten mal seit Anbeginn meiner Imkerlaufbahn Honig aus dem August. Er schmeckt etwas herber.

Bis zum Frühjahr 2012 stand direkt hinter den Bienen, angrenzend an den Bach, das sogenannte Fliederquartier. Es bestand aus alten, einmaligen Züchtungen, die im Frühjahr in einzigartigen Farben, die man sonst vom Flieder nicht kennt, zu blühen begannen und dufteten. Wie bei den Kirsch- oder den Apfelbäumen und so weiter waren sie auf wuchsstarke Unterlagen gepfropft worden. Ich habe nicht nachgezählt, aus wievielen Bäumen das Quartier schließlich bestand, vielleicht aus dreißig. Die Leute sonnten sich nicht nur darin. Öffnete ich wochenends die Bienenkästen, sammelten sie sich zu Gruppen, standen im Viertelkreis hinter mir und löcherten meinen Rücken endlos mit immer denselben Fragen. Offenbar gaben die alten Bäume ihnen außerdem Deckung. Manche wippten weiter hinten auf den Zehenspitzen, andere trauten sich vorwitzig bis an den Stand und schauten mir über die Schulter. Jetzt, da die Flieder ausgerissen worden sind, verläuft ein drei Meter breiter Grasstreifen hinter den Stöcken entlang und die mögliche Flucht ist nur zur Seite hin kalkulierbar. Früher konnte man sich einfach zwischen den Fliederbäumen hindurch verdrücken. Es hieß vonseiten der Stadt, dass die Bäume eine Gefährdung darstellten, da sie alt und morsch waren. Daher wurden sie abgesägt und die Wurzelstöcke ausgerissen. Nachträglich gab es natürlich Proteste in den Zeitungen. Allerdings sind mithilfe von Stecklingen Ableger gemacht worden, die über den Rosengarten verteilt stehen. Hinter den Bienen verläuft jetzt eine Anzuchtfläche. Dort werden je nach Jahr beispielsweise Hamamelispflanzen oder verschiedene Sorten Winterschneeball kultiviert. Die Menschen haben zum Glück eine Scheu, in die aufgeworfenen Ackerfurchen zu treten. Für das Imkern ist es eine Erleichterung. Im Winter jedoch, wenn die Flächen kahl stehen, fehlt den Bienen, die für jede Erschütterung empfindlich sind, der Sichtschutz.