Das Schleudern
Das
Schleudern des Honigs ist mir von allen imkerlichen Tätigkeiten die
lästigste. Neulinge umgekehrt finden gerade das besonders aufregend.
„Oh wie gut das riecht“, sagen sie. Ich halte sie an vom frischen
Honig zu naschen, der anders schmeckt als der im Glas nachgereifte.
Da sind sie erst recht aufgeregt. Während mir die Menge Süßigkeit
schnell zuviel wird. Wenn ich mit Tine schleudere, haben wir uns
angewöhnt salzige Fischrogenpaste vom Griechen zu holen und Kaffee
zu trinken. Als Kontrastprogramm. Ich denke mir oft: `Das Schleudern
ist mir zu viel Arbeit. Es steht im falschen Verhältnis zur
Spannung.´ Wenn man einem Schwarm nachjagt und durch fremde Gärten
flitzt oder auf Bäumen herumturnt, ist der Spaß am größten. Franz
ging es ähnlich. Er war schon 70, als er immer noch auf Bäume
kletterte.
Sobald
der Honig in einer Zelle reif ist, verschließen die Bienen sie mit
einem Wachsdeckel. Ein Wassergehalt von etwa 20 % muß erreicht
werden. Was durch Flügelfächeln geschieht, Verdunstung. Für den
Imker ist die Erkennung der Reife sehr einfach. Zum Schleudern
entnimmt man den Bienenstöcken nur die überwiegend verdeckelten
Waben. Zwei Drittel der Fläche, sagt die Faustregel, sollten bedeckt
sein. An den anderen Waben muß noch weiter gearbeitet werden. Zum
Schleudern löst man die Deckel von den Zellen, in denen der Honig
sitzt. Es gibt ein einfaches Gerät dazu, das aussieht wie eine
Gabel, nur mit vielen dünnen Zinken, die vorne spitz sind wie
Nadeln. Während des Entdeckelns fängt der Honig meistens an aus der
Wabe zu rinnen. Er läuft auf die Hände, die Kleidung, den Fußboden.
Wenn man nicht aufpaßt. Die Waben stellt man in eine Zentrifuge aus
rostfreiem Stahl. Und dreht die Kurbel. Bis der Honig an den Wänden
herunterläuft. Anschließend wendet man die Waben und schleudert
ihre andere Seite. Unten an der Zentrifuge ist ein Zapfhahn, durch
den läuft der Honig in abgestufte Siebe. Sie filtern erst die
groben, dann die feineren Wachspartikel. Und schließlich füllt der
Honig die Eimer. Die Waben sollten warm sein, je näher an der
Innentemperatur des Stockes, etwa 35° C, desto besser. Ist der Honig
flüssiger, läßt er sich leichter ausschleudern.
Seit geraumer Zeit hat sich auf Honigetiketten der Begriff kaltgeschleudert
eingeschlichen. Franz konnte sich darüber maßlos aufregen. „Das
ist der größte Schmarrn“, sagte er. Und ich bereute bereits, das
Thema wieder angeschnitten zu haben. „Kaltgeschleudert gibt es
nicht!“, sagte er, „wie soll das gehen, kaltgeschleudert? Das
istder größte Blödsinn.“ Heute wird man alle Nase lang danach
gefragt. „Ist dieser Honig denn auch wirklich kaltgeschleudert?“,
fragen die Leute mit dem strengen Unterton des qualitätsbewußten
Käufers. Sie ziehen die Augenbrauen hoch und drehen das Glas
zweifelnd in der Hand. Als suchten sie irgendwo noch den kleinen
Zusatzaufkleber, der es ihnen verspricht. Manchmal tue ich ganz
unschuldig und sage: „Aha, kaltgeschleudert. Interessant. Und was
ist das?“ Aber niemand weiß, was es bedeuten soll. Ich vermute,
der Begriff wurde vom Olivenöl abgeleitet, wo kaltgepresst ein
Gütesiegel ist. Außerdem gibt es ja diese Firmen, deren Honig
ultrahocherhitzt wird, damit er flüssig bleibt. Bei Honig gibt es
große Unterschiede in der Konsistenz, Rapshonig wird oft schon in
der Wabe fest, ebenso Waldhonig. Dann hat man es schwer, weil die
Waben beim Schleudern brechen. Franz benutzte in den letzten Jahren
für seine Honigwaben nur noch Plastikmittelwände. Jede Wabe ist so
aufgebaut, daß die Bienen auf einer vorgegebenen Mittelwand, die
eine beidseitig aufgeprägte Sechseck-Struktur hat ihre Zellen
errichten. Die Wand sitzt in einem Rahmen. Traditionell sind die
Rähmchen aus Holz und die Mittelwände aus gepresstem Wachs, durch
Draht gehalten. Aber seit einigen Jahren benutzen Imker auch
Mittelwände aus Plastik. Die Oberfläche wird beidseitig fein mit
Wachs eingewalzt, und die Bienen ziehen darauf ebenso exakt ihre
Zellen hoch. Vor einigen Jahren kaufte ich mir einen Bund von zehn
solcher Rähmchen. Es funktioniert erstaunlich gut, sie lassen sich
gut reinigen, sind leicht und sehr stabil. Die Stabilität macht sich
vor allem beim Schleudern bemerkbar, weil man die Zentrifuge so
schnell drehen kann wie man will. Man bekommt fast jeden Honig aus
der Wabe. Dennoch machte es mir keinen Spaß diese Rähmchen im Stock
zu haben. Nach und nach, immer wenn eine Wabenerneuerung anstand,
schenkte ich sie an Franz weiter.
Als
ich mit den Bienen in den Rosengarten umgezogen war, hatte ich keinen
Raum mehr in der Nähe, in dem sich Schleudern ließ. Man kann nicht
im Freien schleudern, da die Bienen sofort vom Geruch des offenen
Honigs angelockt werden. Vor allem im Juli. Sie haben dann ihren
Wintervorrat angelegt und die Honigentnahme erscheint ihnen als
existentielle Bedrohung. Wir benutzten deshalb ein Zelt, das ich aus
Dachlatten und durchsichtiger Abdeckplane gebastelt hatte. Zur
Belüftung waren große Gazefenster eingesetzt. In dem Zelt wurde ein
Klapptisch aufgestellt, ein paar Eimer mit Wasser, das
Entdeckelungsgeschirr, die Siebe, die Eimer und die Schleuder.
Babette, meine damalige Freundin, stand im Zelt und schleuderte. Ich
arbeitete an den Bienen, entnahm die vollen Waben und schaffte sie
ins Zelt. Manchmal kamen Freunde, um zu helfen, oder um zu schauen.
Mit den Besuchern des Rosengartens bildete sich langsam eine
Menschentraube, die das Geschehen umstand. Das war anstrengend, denn
ständig kamen aus dem Off irgendwelche Fragen: „Was ist denn das
da links an dem Brett (gemeint war die Wabe), das Längliche?“ Es
ist aufreibend vor dem offenen Stock mit wütenden Bienen zu stehen
und über die Schulter Fragen zu beantworten. Gelegentlich kam sogar
Franz zu Besuch, der nicht weit entfernt wohnte. Aber wenn er all die
Leute sah, flüchtete er wieder. Später wurde mir das Aufbauen des
Zeltes zu umständlich. Außerdem mißfiel mir, daß das Gras an der
Stelle, wo das Zelt gestanden hatte, zertrampelt war. Ich lud
stattdessen die Kästen mit vollen Waben direkt ins Auto. Zwischen
den Fliederbäumen hindurch kann man bis an den Bienenstand fahren.
Sobald ich alles eingeladen hatte fuhr ich nach Hause, etwa 20
Minuten durch die Stadt, während derer die Waben kaum abkühlten.
Es
war einfacher in der Küche zu schleudern. Fließendes Wasser ist
beim Schleudern von großem Vorteil. Denn letztlich ist es viel
Putzarbeit, die dabei anfällt, bis dahin, daß man anschließend
mindestens dreimal den Boden wischen muß, um alle Wachs- und
Honigreste zu entfernen. Abends brachte ich den Bienen die leeren,
honigfeuchten Waben zurück.
aus den Honiggeschichten