Papierarbeiten 3


Viele meiner Arbeiten haben Papier als Trägerstoff. Sie sind jedoch komplexer als das einzelne Blatt. Kam es zur Ausstellung, waren sie so im Raum gehängt, dass sie sich vom Einzelstatus lösten und Teil einer Anordnung wurden. Andere sind einfach Zeichnungen oder allgemeiner Papierarbeiten und werden daher so behandelt. Sie sind in verschiedene Ordner aufgenommen, da die Präsentation aller auf einmal bewirken würde, dass dieser gesamte Katalog unrund liefe und man keinen Fortschritt der zeichnerischen Auffassung erkennen könnte. Sie sind mir wichtig. Ein ganzer Schwung übrigens ist als Erste Ausstellung in einem größeren Zusammenhang, als Sammlung all dessen, was ich anfangs über Bienen wusste, gezeigt. Die Dinge liefen da ein wenig aus dem Ruder, da ich plötzlich nicht mehr wusste, woran ich mit ihnen war. Die Präsentation wirkte in sich geschlossen. Andererseits waren es doch Blätter. Auf manche kommt es mir heute mehr an, auf manche weniger und einige halte ich sogar noch immer für akzeptabel. Das brachte mich auf die Ordner. Sie zeigen den Stellenwert des Zeichnens mit dem Fortschreiten der Zeit. Der Anteil, den die allerersten, etwas fragwürdigen Blätter einnehmen, wird auf wohltuende Weise abgezogen, da an der entstandenen Stelle die Erste Ausstellung zurück blieb. Die besagten Blätter also sieht man nur in der Präsentation. Sie taucht später, verändert, noch einmal auf.


Was die sonstigen Papierarbeiten betrifft, fällt mir I Due Leonardo im Jahr 2005 in Mailand ein. Das sind die beiden wehenden Papierflächen, die aus 6367 einzelnen goldenen Quadraten zusammengesetzt sind. Tatsächlich ist jedes dieser goldenen Quadrate sozusagen ein Unikat und ihre Vielfalt macht die schillernde Besonderheit des Ganzen aus. Andererseits brauchte ich wegen eines einzelnen Papierstückes nicht schlecht zu schlafen, da es völlig austauschbar war.
Die Mailänder Ausstellung ist mir heute eine der liebsten. Das Katzengold hatte die Eigenart, zugleich kühl und warm zu wirken. Einerseits sprangen die Papierwände mit dem Raum hart und unduldsam um, und der Boden, in stumpfem Rot gekachelt, hatte daran erheblichen Anteil. Andererseits waren sie nach hinten umgeschlagen, rückseitig mit Zahlen und Pfeilen bestempelt, was ohnehin Leichtigkeit bewirkte, und wehten in der feinsten Brise. Der Raum wirkte wie ein Lager. Über die ganze westliche Seite der Galerie gab es eine Schiebetür und oben einen offenen Dachstuhl mit einem Wellblechdach. Vor allem nachmittags brannte die Sonne erbarmungslos. Zwar lag das Gebäude in einem Hof und war umgeben von höheren Dächern, doch sobald die Sonne den Giebel erfasst hatte, stieg die Innentemperatur weit über diejenige draußen. Auf der Straße wehte wenigstens eine leichte Brise, aber innen schien die Luft zu verharren. Schob man die schwere, vergitterte Tür auf, drang zumindest eine bescheidene Kühle herein.
Die riesigen Blätter, die zugleich holzig und fein waren und doch mit ihrer speziellen Beschichtung mindestens 200 Gramm pro Quadratmeter wogen, bewegten sich beim feinsten Luftzug gefährlich. Nachmittags hielt ich meistens Aufsicht. Schließlich hatte ich soweit experimentiert, dass ich das Tor bestenfalls etwa einen oder eineinhalb Meter weit aufgeschoben stehen lassen konnte, und ich bemerkte, wie wenig das brachte. Die Freunde, mit denen ich mich vormittags verabredet hatte, saßen draußen, im Schatten, in einem Café und streckten die Füße aus. In der Galerie überstieg die Temperatur gegen Mittag die Vierziggradmarke.

senza titolo

Zur gleichen Zeit, während in München das Video für die Rathausgalerie gedreht wurde und ich dort auch jenes, das ich im Grunde seit Jahren vorhatte, selbst drehte, produzierte ich im Atelier eine Reihe von kleineren Blättern. Sie wirken wie ein Abfallprodukt des größeren Blattes mit dem Aufdruck: Bienen sind die Popstars der Zukunft. Im Anschluss wurde mir klar, dass sie jedoch als eigene Arbeit bestehen. Nur sind nicht viele Worte darüber zu verlieren.
Einige der Sätze, die in verschiedenen Sprachen jeweils das Ähnliche bedeuten, stammten von Freunden, andere aus einer Schule, wo Schüler unterschiedlicher Nationalitäten in einer Klasse saßen und den Satz in ihre Muttersprache übersetzten.

film still

Im Münchener Rathaus sollte die Abschiedsausstellung für einen rührigen Kulturreferenten stattfinden, der in Rente ging. Alle Künstler, die im Rathaussaal unter seiner Ägide ausgestellt hatten und auffindbar waren, sollten repräsentiert sein. Von diesen Künstlern erstellte wiederum ein anderer, der sich zunächst als Bildhauer verstanden hatte und jetzt Videos drehte, eine knapp hintereinander geschnittene, endlos lange Reihe von Kurzportraits. Der Mann rief mich eines Tages an und wollte mich quasi sofort im Atelier besuchen. Dann rief er erneut an und hatte es sich anders überlegt, weil ihm der Weg aufs Land zu weit war. Er kam in die Münchener Wohnung, wo jedoch kaum Arbeiten lagerten. Er hatte mich aufgefordert, einige Gedanken zu entwickeln, was er in seinem Film zeigen sollte. Danach rückte er mit einer winzigen Kamera an, hatte es furchtbar eilig und wollte eine ganz andere Vorstellung von mir, als die, welche ich mir ausgedacht hatte. „Brauchst du kein Stativ?“, fragte ich. Ich hatte naive Vorstellungen betreffs der Möglichkeiten heutiger Technik. „Diese Kamera kann alles“, antwortete er großspurig. Doch als ich das Ergebnis sah, gelangte ich zu der Ansicht, dass es damit doch nicht so weit her war und dachte: Mein Daumennagel kann mehr als diese technische Miniatur.

Meinem Widerwillen, selber als Person in Erscheinung zu treten, gab er nicht nach, was ich damit konterte, dass ich keinerlei Arbeiten herausrückte, die er abfilmen konnte. Schließlich griff er sich ein Honigglas und hielt es ins Sonnenlicht, und er stöberte ein paar plastische Kleinigkeiten auf. Der von mir erdachte Film, für den ich bereits alles vorbereitet hatte, blieb ungedreht.




















Macht nichts“, sagte ich mir, sobald er gegangen war. Dann drehte ich selber einen Film von acht Minuten. Mein dick verrußter Schmoker, den ich bei den Bienen einsetze, qualmt bei weit geöffnetem Fenster vor sich hin. Er ist der Protagonist. Dazu hört man einfach Straßengeräusche, Autos, die über das Kopfsteinpflaster rumpeln, Fußgänger, die sich lautstark unterhalten. Zwischenzeitlich rückte die gesamte Brigade einer Feuerwache in der Nähe aus, diesmal anscheinend mit allen Fahrzeugen, was einen Höllenlärm verursachte und mich fürchten ließ, dass sie wegen mir kamen. Doch sie zogen weiter und das an- und abschwellende Geräusch der anrückenden und sich entfernden Sirenen (Dopplereffekt) wird zur perfekten Klangkulisse.

Donald


Die Bilder mit der Geschichte von Donald Duck, der sich einen Bienenstock in den Garten holt, und seinen neugierigen Neffen, denen er damit eins auswischen will, hatte ich bereits gescannt und ausgedruckt. Doch mir kam kurzfristig eine andere Arbeit dazwischen. Bei dieser hier tat es mir leid, dass ich sie nicht ausführen konnte. Natürlich wollte ich die Bilder frei anordnen. Die Geschichte wäre nicht unbedingt erzählerischer geworden, als im Original, aber weniger streng. Das ist selbstverständlich. Ein Heft zwingt durch seinen festgelegten Seitenaufbau den Zeichner in ein Schema, und das wollte ich vermeiden.

In diesem Fall war der Zeichner natürlich der legendäre Carl Barks. Er hatte fast alle der Nebenfiguren, die in den den Duck-Heften vorkommen, erfunden. Sein späters Statement lautete:
“I always felt myself to be an unlucky person like Donald, who is a victim of so many circumstances. But there isn't a person in the United States who couldn't identify with him. He is everything, he is everybody; he makes the same mistakes that we all make. He is sometimes a villain, and he is often a real good guy and at all times he is just a blundering person like the average human being, and I think that is one of the reasons people like the duck.”

Das Projekt sollte eine Nitrofrottage werden. Das ist die Drucktechnik, die mir damals, als mir ein entsprechender Schwarzweiß-Kopierer zur Verfügung stand, leicht von der Hand ging. Ich legte zahlreiche Arbeiten darin an. Die entsprechenden Scans sind daher seitenverkehrt abgebildet. Aber leider sieht man nichts darüber hinaus. Die Kopien liegen in einer Schublade und stehen seither bereit. Es stellt sich die Frage, ob eine Arbeit an Aktualität und Bezug zum eigenen Leben verliert, wenn sie altert.






















Meister, die Imme ruft


Die Blätter, obwohl es wenige sind, dienten als Vorentwürfe zu einer großen Arbeit. Sie sind vorsorglich so gehalten, dass sie auch eigenständig durchgehen können. Wahrscheinlich wusste ich zu diesem Zeitpunkt bereits, dass ich kaum Zeit erübrigen konnte und mir für ein großes Projekt die Puste ausging. Im Übrigen war ich mit anderen Belangen beschäftigt und wäre lieber den ganzen Tag in der Hängematte gelegen. Als ich die Skulptur entwarf, hatte ich den Rosengarten selbst im Sinn, wie man sagt: ein Heimspiel. Dort sollten einige Stahlmasten aufgestellt werden, dann wollte ich ausgemusterte, ehemals ostdeutsche, blecherne Lautsprecher auftreiben, solche, die der "Infiltration durch sozialistische Parolen" gedient hatten, und sie daran schrauben. Und aus denen sollte Bienensummen erschallen, live aus einem meiner Stöcke dort übertragen. Das heißt, man hätte zusätzlich eine Menge Kabelstränge verlegen müssen. Um die Genehmigung durch die Stadt, beziehungsweise das Baureferat, Abteilung Gartenbau machte ich mir weniger Sorgen. Die Stadt zeigt sich Projekten dieser Art durchaus aufgeschlossen. Allerdings hätte ich Geld benötigt, ein auf das Projekt bezogenes Stipendium, und das gab es nicht. Das Projekt war nur vorübergehend gedacht, sollte vielleicht einen Sommer umspannen. Allerdings nahm ich nicht den Anlauf.



Wilhelm Busch gilt als Großater oder Urgroßvater des modernen Comics. Er wurde als Kind einem Onkel, der Pfarrer und Imker war, zur Erziehung anvertraut. Dort erhielt er Privatunterricht. In Buschs Bildergeschichten sind die Bienen oft am Rande eingeflochten. Dann wird mit weit gehender Detailkenntnis erzählt. Einmal sind sie Hauptthema. Die Bienen sind jedoch vermenschlicht. Diese Geschichte ist übrigens weniger sadistisch, als die meisten seiner sonstigen, vielleicht weil die Bienenstiche den Part der Grausamkeit übernehmen: Es geht um einen Imker namens Dralle, der nachmittags einschläft. Während dessen schwärmen seine Bienen und lassen sich genau auf jenem Baum nieder, unter dem er döst. Schließlich wird er durch den Ruf: „He, Nachbar, he! Der Imme schwärmt!“ rüde aufgeweckt, versucht die Bienen einzufangen, die Leiter bricht und so weiter. Die Bienen fliegen fort und er verfolgt sie durch die gesamte Ortschaft bis in den Wald und zurück.
Busch studierte Malerei an den Akademien in Düsseldorf, Antwerpen und München, verfolgte sein Studium aber planlos und ließ sich hauptsächlich treiben. Er hatte wohl im Sinn, ein ernsthafter Kunstmaler zu werden, erreichte aber weder die nötige Anerkennung, noch brachte er das erforderliche Durchhaltevermögen auf. Als Zeichner seiner derben (manchmal antisemitischen) Bildgeschichten, erlangte er Berühmtheit und kam schließlich zu Wohlstand. Im Jahr 1857, offenbar als es für ihn in beide Richtungen nicht zufriedenstellend verlief, wollte er alles hinwerfen, nach Brasilien auswandern und Bienen halten.

In der Geschichte Schnurrdiburr oder Die Bienen, von der vorher die Rede war, wird Die Imme als Der Imme bezeichnet, so wie manche Menschen umgangssprachlich unterschiedliche Geschlechter für Propolis oder Drohnen nennen, was sogar der Duden bestätigt: Der Drohn ist ebenso korrekt wie die Drohne. Die Imme gilt (nach neuer Schreibweise) stets als weiblich.

Ich hielt die Konstellation, dass man nachmittags unter einem Baum einschläft und über einem Bienensummen ertönt, für beschaulich.

Das Thema der nationalen Grenzen, die für Bienen nicht gelten, griff ich später noch einmal auf. Hier hatte ich zuerst die Lautsprecher der Bahn im Sinn, da ich etwa einmal pro Woche zwischen München und Bad Endorf hin und her fuhr und blecherne Stimmen die Reisenden entweder über Verspätungen informierten oder darüber, dass der Zug gleich einfahren würde, dass man von der Bahnsteigkante zurück treten solle und so weiter. Doch auch beispielsweise sozialistische Bienen tönen genauso wie westliche, französische wie ungarische oder italienische wie schwedische.