Die Strukturformeln bilden eine Arbeit, die zwar bis zum Ende durchdacht, jedoch nicht gänzlich ausgeführt worden ist. Da sie aber provisorisch und in Form von vorbereitenden Stempelarbeiten vorhanden ist, wurde sie in den Katalog aufgenommen. Sie veranschaulicht übrigens, wie die meisten meiner Arbeiten entstehen. Ich nähere mich ihnen im
Krebsgang. Die Anordnung wirkt, vom Ende her betrachtet, mühelos und logisch. Allerdings brauche ich meistens geraume Zeit, um sie zu entwickeln. Die assoziative Versammlung englischer Ausdrücke,
die Zucker in sich enthalten, ist Beiwerk. Meistens beginnt die Arbeit damit, das Material aufzubieten und zu ordnen.
Die Blätter mit Kopien der Strukturformeln liegen noch immer herum. Natürlich beziehen
sie sich nicht metaphorisch oder symbolisch, sondern direkt auf die verschiedenen Arten von Zucker, die im Nektar
vorkommen. Hier musste ich mich zwischen zwei Arten der Darstellung innerhalb der Chemie entscheiden, zwischen der Fischer-Projektion und der Haworth-Projektion. Beide betrachte ich als Bilder. Fischer gebraucht eine Art Baum als Figur, Haworth nimmt Fünfecke und Sechsecke, die in den Raum hinein perspektivisch verzerrt sind. Mithilfe des Fünfecks ist die Fructose dargestellt, mithilfe des Sechsecks die Glucose. Auch wenn der Baum sinnfälliger ist, neigte ich der Haworth zu. Doch hatte ich keine Zeit, die Moleküle zu stempeln.
Wikipedia weiß: Die Fischer-Projektion ist eine Methode, die Raumstruktur einer linearen, chiralen chemischen Verbindung eindeutig zweidimensional abzubilden. Sie wurde von Emil Fischer entwickelt und wird häufig für Moleküle mit mehreren, benachbarten Stereozentren wie Zuckern verwendet. Er gilt als Begründer der klassischen organischen Chemie und erhielt 1902 den Nobelpreis für Chemie.
Und es weiß weiter: Die Haworth-Formel ist eine nach dem Chemiker Walter Norman Haworth benannte Darstellungsweise für ringförmige fünf- und sechsgliedrige Moleküle, z.B. Glucose und Fructose in ihrer cyclischen Form. Haworth erhielt 1937 den Nobelpreis für Chemie
Man unterscheidet fünf oder sechs verschiedene
Hauptzuckerarten, danach nennt man sie Vielfachzucker. Davon ist jede
noch einmal in einzelne Sorten unterteilt. Am Schluss, aber das habe
ich nicht nachgezählt, könnten es so um die zwanzig werden. Am
Anfang stehen als Einfachzucker Glucose und Fructose. Das sind die
sogenannten Fruchtzucker, die der Körper sofort aufnimmt. Sie machen
den größten Bestandteil jeden Honigs aus. Ich kann mich täuschen, aber auf sie scheint alles zurück zu laufen. An zweiter Stelle
beispielsweise, unter den Zweifachzuckern, steht Saccharose. Das ist
eine simple Molekülkette, die aus Fructose und Glucose zusammen
gesetzt ist. Um alles aufzuspalten und bei den einfachen Bestandteilen zu landen, ist ein Enzym nötig und die Bienen
tragen davon eine Menge, die ihnen etwa für zehn Tage reicht, im
Magen. Die Melezitose ist Honigtauzucker. Sie ist der typischeste Dreifachzucker und wandert zunächst durch das Enzymsystem der Pflanzensauger. Der berüchtigte Waldhonig besteht daraus, man nennt ihn auch Zementhonig, da er, wenn man ihn nicht sofort schleudert, in der Wabe aushärtet. Melezitose ist eine Kette aus Saccharose und Glucose.
Nektar ist in der
Regel zusammengesetzt aus zahlreichen Zuckern. Er wird von den Bienen
an den Nektardrüsen der Pflanzen geholt und im Honigmagen fermentiert. Daher wahrscheinlich ist sich die Wissenschaft nicht
einig, ob die Bienen bereits die Honigmachende genannt werden muss
oder ob sie noch Nektar befördert. Fest steht hingegen, dass manche
der zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten aus den Zuckersorten, aus
denen der Nektar einer Pflanze besteht und die dann ein überaus
komplexes Molekül bilden, die Bienen weniger anziehen. Volkstümlich
kann man sagen: Sie schmecken ihnen nicht so gut. Daher hält es sich die Pflanze offen, ihre Palette aus den zahlreichen
einzelnen Zuckern leicht zu verändern, wenn dann die Bienen lieber
kommen. Wie diese Vorliebe der Bienen den Pflanzen mitgeteilt wird,
ist mir unklar.
Ich beschäftigte mich seit dem Jahr 2014 damit, doch kam mir etwas
Schwerwiegendes dazwischen, das mich daran hinderte, im Atelier zu
sitzen. Danach drängte eine Reihe neuer Arbeiten herein wie Flugzeuge in der Warteschleife. Jedesmal, wenn ich das Atelier betrat, bemerkte ich, wie ich zunächst unentschieden, ob ich die Arbeit daran aufnehmen sollte, um die Blätter mit den Strukturformeln herum schnürte. Dann wendete ich mich Anderem zu.