Edition Karbit


Leonardo von Pisa, das steht bereits an anderer Stelle, war ein bedeutender italienischer Mathematiker und stammte aus dem Dreizehnten Jahrhundert. Sein Vater war Händler und nahm ihn auf Reisen durch den arabischen Raum mit. Später studierte Leonardo in Nordafrika. Seine bedeutendste Leistung war der Import des arabischen Zahlensystems, in dem die Zahl Null vorkam und mit dem sich erstmals auf moderne Weise rechnen ließ. Allerdings war diese Art von Indien, von den Hindus aus, in die islamische Welt gelangt, weshalb er sie als „Zahlen der Inder“ bezeichnete.

Leonardos frühe Schriften, die nicht erhalten sind, werden indessen von anderen zitiert.
Eine seiner mathematischen Beschreibungen (die sowohl den Indern, als auch den Griechen bereits bekannt war) wird heute die Fibonacci-Folge genant. Fibonacci ist ein anderer Name dieses Leonardo. (Figlio di Bonacci). Er veranschaulichte die Reihe mithilfe von Kaninchen, die sich rasant vermehren. Es handelt sich um jene Zahlenfolge, die in der Ausstellung I Due Leonardo aus dem Jahr 2006 bereits verwendet wurde. (In meiner Arbeit werde ich ständig auf sie gestoßen.) Sie nähert sich der Teilung durch den Goldenen Schnitt umso genauer an, je weiter sie fort schreitet, erreicht ihn jedoch nicht. Als Fibonacci sein Beispiel einbrachte, handelte es sich nicht um biologische Kaninchen, was für Verwirrung sorgte und dazu führte, dass man ihn (aus den falschen Gründen) widerlegte. Jedoch gibt es ein genetisches Vermehrungsbeispiel bei den Bienen, das damals keinem einfallen konnten, weil man noch keine genauen Kenntnisse über sie besaß. Im Stammbaum der Drohnen liegt die Fibonacci-Reihe unbestritten vor. In diesem Fall, dem genetischen Verhältnis, sind Königinnen und Drohnen gemeint, während der Stammbaum der Arbeiterinnen wohl ebenfalls einer Fibonacci-Reihe gehorcht, allerdings zeitlich versetzt. Übrigens ist bei einer Menge anderer natürlicher Wachstumsmuster, Tannenzapfen oder Muscheln oder eben Sonnenblumen, die Reihe sichtbar.


Bei den Drohnen ist, wie ich fand, das zeitlich Hindernis nicht ausreichend berücksichtigt. Drohnen treten im Bienenjahr zu kurz auf und die Vererbungsfolge wird daher nur im Ansatz veranschaulicht. Das ändert jedoch nichts an der Richtigkeit des Beispiels.

Fehlt in einem Bienenvolk die Königin über längere Zeit, können einige Arbeiterinnen dazu kommen, Eier zu legen. Da sie aber nicht befruchtet wurden, schlüpfen nur Drohnen daraus. Man erkennt das zunächst daran, dass mehrere Eier ungeordnet am Boden einer Zelle stecken, manchmal auch seitlich. Und da die Zellen der Drohnen größer sind, modellieren die Bienen ganze Waben um. Wird das Problem schlimmer, nennt man das Volk drohnenbrütig. Es gibt wohl Abhilfe, wie ich gelesen habe. Doch ich löse solche Völker auf, indem ich sie hinter dem Bienenstand ins hohe Gras schüttle. Die Bienen betteln sich dann bei Nachbarvölkern ein und die provisorischen Königinnen verenden im Gras. Eine Biene, falls sie Honig in ihrem Magen mitbringt, wird von den Wächterinnen, die am Eingang eines anderen Volkes sitzen, eingelassen. So habe ich es von Franz gelernt. Daher räuchert man Völker, die man aufzulösen beabsichtigt, beispielsweise zu kleine Ableger, bei denen sich das Einwintern nicht lohnt, vorher kräftig ein, damit die Bienen zu ihren Honigtöpfen getrieben werden und sich dort vollfressen.

Spätestens ab der Edition formulierte sich in mir eine Frage, die ich nicht lösen konnte. Die Drohnen sind unbestreitbar der männliche Teil innerhalb des Bienenkörpers. Sie suchen keinen eigenen Nektar, sondern lassen sich im Stock mit Honig füttern. Sie sind daher kaum vor dem Stock zu finden, strecken höchstens einmal die Köpfe zum Flugloch heraus. Sie haben keinen Stachel, sind aber anatomisch im Wesentlichen den Arbeiterinnen gleich oder zumindest ähnlich. Sie sind Bienen. Sie sind für die Befruchtung einer jungen Königin aus einem anderen Volk zuständig. Dazu krabbeln sie aus dem Stock und schwingen sich hoch in die Luft und finden ohne vorherige örtliche Kenntnisse die Sammelplätze. Dort erreichen aber nur diejenigen von ihnen, das sind dann etwa drei oder vier, die wohl aus verschiedenen Völkern stammen und die der Königin am weitesten in die Luft hinauf folgen können, ihr Ziel. Das ist die Begattung, und zugleich bedeutet es den Tod, da der Begattungsapparat bei diesem Vorgang heraus gerissen wird. Ansonsten lungern die Drohnen ab April im Inneren des Stocks herum und werden ab der Sonnwende hinaus gedrängt, wo sie verhungern, oder sie werden im Inneren abgestochen. Sie können (wie die Königinnen) wegen ihrer dickeren Hinterleibe nicht durch die Absperrgitter in die Honigräume gelangen. Manchmal stecken sie abgetötet zwischen den Stäben der Gitter. Man nennt es die „Drohnenschlacht“, womit wohl eine Schlachtung gemeint ist. Unsentimental betrachtet ist es ein Entschlackungsvorgang. Das Volk wird schlanker, es bereitet sich darauf vor, mit den bis zu diesem Zeitpunkt angetragenen Futtervorräten über den Winter zu kommen. Was die Funktion der Drohnen ist, wurde hinreichend geklärt, dass sie nur ein Vierteljahr im Stock verbringen, ebenfalls. Da sie aber nur zwischenzeitlich hervorgebracht werden, kommen sie mir wie eine vorübergehend männliche Ausstülpung des Bienenkörpers vor. Genauer formuliert, könnte man sie als kurzfristig männlichen Anteil innerhalb eines rein weiblichen Systems bezeichnen.



Mitte Dezember des Jahres 2017 fand die Edition Karbit in der Galerie Heufelder statt und ich war neben einem Haufen anderer Künstler, von denen ich zahlreiche kannte, zur Teilnahme eingeladen. Die Galerieräume liegen nahe des Ateliers, das ich bewirtschaftete, nur auf der anderen Straßenseite. Das Verbindende zwischen den Künstlern war kein Thema, sondern das Format. Man sollte jeweils drei gleiche Blätter vorlegen, alle im Maß 22 Zentimeter mal 32 Zentimeter, hochkant oder quer. Eines dieser Blätter wurde dann gerahmt und aufgehängt. Das Format empfand ich als unglücklich, da es so nahe am DIN A 4 liegt. Ich mühte mich im Atelier daran ab, stempelte und wurschtelte, wobei unentwegt Ausschuss entstand. Zwar wurde ich rechtzeitig damit fertig und brachte eine passable Version zustande, doch erstaunte mich, wie stark meine Arbeit beeinträchtigt wurde oder zum Erliegen kam, wenn das Format vorgeschrieben war. Letztlich stempelte ich den Stammbaum der Drohnen. Damit ließ ich es bewenden. „Drohnen haben keinen Vater“, dieser einfache Satz ist, man muss es so sehen, die Zusammenfassung des Problems.