in bocca al lupo

Vortrag in der Akademie der Bildenen Künste München

Gegen Ende Juli wurde ich von Katharina Deml angerufen und gefragt, ob ich bereit sei, ungefähr im Dezember eine Art Vortrag zu halten mit dem Thema, wie es früher an der Akademie gewesen ist, von der Baracke, dem Garten, der Bienenhaltung, dem Honig, der Herstellung wertvoller Nahrung und so weiter. Mein Beitrag sollte, wie wir entschieden, auf einen der Gartenarchitektin, die den grünen Raum im Akademiegelände umgestaltet hat, abgestimmt sein. Die Dame ist nicht mehr eingeladen oder sie hat abgesagt, das weiß ich nicht. Daher sitzen wir nun ohne sie hier. Weiter befragte ich mich, ob es für Sie von Bedeutung ist, wenn ich direkt und chronologisch von meinem Leben erzähle. Denn es sind meine persönlichen Eindrücke und andere sind sicher zu anderen gekommen. Ich wog zwei Formen gegeneinander ab. Schließlich entschied ich mich für einen Kompromiss. Ich berichte Ihnen ein wenig von meinem Werdegang, und ich beziehe mich auf die fraglichen Punkte. Zunächst kurz zum Titel : in bocca al lupo. Das heißt, wenn man es wörtlich übersetzt: im Maul des Wolfes, und man könnte sich fürchten. Ein italienischer Bildhauer, der nicht Deutsch spricht, sagt mir das zu Einladungen, die ich ihm schicke. Er meint damit in etwa: viel Glück oder Hals- und Beinbruch. Doch es ist, wie mir eine Italienerin erklärte, entgegen der deutschen Logik die Bezeichnung für den sichersten Ort der Welt. Denn wo könnte man sich besser beschützt fühlen als dort?
Ich hole weit aus. Anfangen möchte ich mit dem Berufsgrundschuljahr Schreiner, das ich vor der Akademie absolvierte, in der festen Absicht, entweder Schreiner oder Treppenbauer zu werden. Zu Beginn der Lehrzeit sucht man sich eine Lehrstelle, in der man nach dem Ende dieses ersten, schulischen Jahres arbeitet. Diesen Platz hatte ich bei einem Schreiner, Bauschreiner und Treppenbauer gefunden. Ich verwendete es später als die neun Monate Praktikum, die man an der Akademie vorausgehend absolviert haben muss. Die Werkstatt, die ich erspäht hatte, liegt in Ammerland am Starnberger See. Die Lehrzeit hatte ich mir dadurch traumhaft vorgestellt. Zunächst wollte ich nicht Künstler werden. Oder ich wusste nicht, dass ich es wollte. Damals, während dieses ersten Jahres, wohnte ich in Wolfratshausen. Hinter dem Wohnhaus ging es gleich den mit Buchen bestandenen Berg hinauf. Dort war ich während der freien Wochenenden unterwegs und baute aus Ziegelsteinen, die ich von Baustellen geklaut hatte, kleine Brennöfen. (Es ist ein Witz, wenn behauptet wird, in Wäldern dürfe man keine Feuer machen, es bestünde Waldbrandgefahr.) Von diesen winzigen Meilern aus Ziegeln knipste ich eine Reihe Fotos. Manchmal brannte ich auch modellierte Tonklumpen darin. Am Ende des Berufsgrundschuljahres ging ich erneut zu der Lehrstelle, um mich quasi zurückzumelden. Der Meister teilte mir aber mit, mit Scham im Gesicht, dass er die Stelle dem Sohn des Bruders habe abtreten müssen. Nun stand ich da und hatte nichts außer einem Mann, der um Worte rang und dem es Leid tat. Natürlich versuchte ich mit aller Kraft, eine neue Stelle zu finden, kam auch mehr schlecht als recht irgendwo unter, aber der Traum war zerplatzt. Daher dachte ich, da ohnehin alles wurscht war, könne ich mich auch an der Akademie bewerben. Dort war es Usus, in einer Mappe geordnet, seine Bewerbungsunterlagen vorzulegen, und sich für zwei Professoren zu entscheiden. Denn wurde man vom einen nicht genommen, konnte man vielleicht zum anderen. Das hielt ich nicht so. Ich pfefferte die paar Fotos von den Brennöfen und einige ziemlich schlechte Zeichnungen in eine alte Mappe, die mir aus der Schulzeit geblieben war. Die Mappe hatte sogar einem anderen gehört, einem Freund von mir, dessen Namen strich ich provisorisch durch und setzte meinen dagegen hin. Und ich schrieb nur einen weiteren Namen drauf, nämlich den des Professors, den ich kannte. Alles andere war mir zu blöd, und ich war der Akademie gegenüber zu gleichgültig, um mich näher zu informieren. Im Übrigen hatte ich einige Schüler von Professor Heribert Sturm und ihn selbst bereits auf einer Klassenfahrt nach Italien begleitet. Warum nicht gleich er?, fragte ich mich. Danach wurde ich zu einem Gespräch in sein Atelier im Keller des Haupthauses bestellt. Dort sprachen wir über dies und das, unter anderem, dass ich geraume Zeit im Hunsrück gelebt hatte und einmal pro Woche nach Düsseldorf getrampt war, um die ehemalige Klasse Beuys in Raum drei der dortigen Akademie zu besuchen. Dort fand wöchentlich ein sogenanntes Ringgespräch statt, das Johannes Stüttgen leitete. Von diesem Umstand zeigte sich Heribert Sturm beeindruckt. Die Öfen fand er ebenfalls großartig. Nur die Zeichnungen, die, wie gesagt, schaurig waren, ließen wir außer acht. Der Bauch von Heribert wölbte sich weit vor, sein Bart und seine Haare standen ihm ungeheuer vom Kopf ab wie einem Waldschrat. Er saß vorn auf der Stuhlkante, da er nicht groß war, und seine Oberschenkel wiesen leicht nach unten. Er hatte also meine Mappe dort liegen und auf einmal rutschte alles fort und klatschte auf den Boden. Worauf wir lachten. Im Nachhinein glaube ich, dass dies der Augenblick war, an dem er entschied, mich in seine Klasse auf zu nehmen. Er sagte mir auch mehr oder weniger gleich zu. Ich wurde auch nicht gefragt, wie ein Freund von mir, warum ich Künstler werden wolle. Auf diese Weise, ohne es gewollt zu haben, landete ich an der Akademie. Die Akademiezeit dauerte von den Jahren 1987 bis 1994.
Dort wusste ich während der ersten beiden Jahre kaum, was zu tun war. Es dauert meistens ein oder eineinhalb Jahre, bis man sich fängt. Im ersten Herbst, als erste Tat, pflanzte ich mit einem Kollegen einen Kirschbaum im Barackengarten. Bäume hatte ich bereits gepflanzt und wusste, wie das ging. Ich fuhr in eine Gärtnerei und kaufte einen auf Hochschnitt getrimmten Baum, der gepfropft war und etwa einen Meter achtzig maß. Über den nächsten Sommer hin mickerte das Bäumchen und im kommenden Herbst war es eingegangen. Das gab mir eine erste Information über die mögliche Bodenbeschaffenheit. Ansonsten besuchte ich Klassenbesprechungen und fragte mich, was dort besprochen wurde. Dann ging ich in andere Klassen. Beispielsweise versäumte ich kaum eine Besprechung in der Klasse Spoerri. Dort wurden, wie Beuys es ausgedrückt hatte, Namen und Begriffe genannt. Das heißt nicht, dass ich den Diskussionen ganz folgen konnte oder wirklich verstand, warum die eine Arbeit besser war und es der anderen an etwas mangelte. Wahrscheinlich hätte ich in diese Klasse gewechselt, wenn nur Spoerri länger an der Akademie geblieben wäre. Aber das war nicht der Fall. Also ging ich wieder hinunter in die Baracke und versuchte, ein Anliegen zu finden. Denn darum geht es letztlich und das ist das Schwerste. Die Baracke hatte eine U-Form. Ich weiß nicht, seit wann unsere Baracke bestand, vielleicht hatte man nach dem Zweiten Weltkrieg eine Menge zerbombte Dachstühle abgerissen und sie auf diese Weise einer neuen Verwendung zugeführt. Das habe ich aber nie geprüft. Manchmal werde ich von einem Historiker gefragt, ob sie ursprünglich für Kriegsflüchtlinge errichtet worden war. Das kann ich nicht beantworten. Unsere Klasse war in einem der langen Streifen untergebracht, im anderen die der Klasse Dengler. Dazwischen waren der Akademieladen voller Leinwände, Farben und Pinsel, dazu Klassenräume der Denglers. Drüben wurde gemalt, weshalb wir mit ihnen nicht allzu viel zu tun hatten. Uns nannte man die Tonbatzler. Es war schon so, dass man vom Haupthaus ein wenig abschätzig auf uns herab sah, als liefen die dort oben mit einem goldenen Zahnstocher im Mund herum und wir wären die Erdnuckel. Dabei war es genau genommen umgekehrt. Wir hatten viel mehr Platz als die, da die Baracke in lauter kleine Zimmer unterteilt war. Wir hatten etwa 10 Räume. Außerdem, wie gesagt, hatten wir den Garten vor der Tür. Unsere Besprechungen fanden häufig in unserem größten Raum statt. Er war nach oben offen und man sah das Gebälk. Heribert, der während der Sechziger Jahre bei Heiner Kirchner studiert hatte, erzählte eines Tages, dass dieser Raum die ehemalige Mensa gewesen sei, durch eine Luke, die noch vorhanden war, sei das Essen ausgegeben worden. Schon damals übrigens hieß es mindestens einmal pro Jahr, die Baracke werde abgerissen. Das geschah letztlich aber erst Ende des Jahrhunderts. Die Baracke, mehr noch als die Akademie damals, gestattete einem Studenten so ziemlich alles. Einmal beispielsweise hatte ich in einem Container ein dreiteiliges Fenster gefunden, das größer war, als das in meinem Raum. Folglich fischte ich es heraus, lagerte es ein und wartete das Wochenende ab. Dann nahm ich die große Klassenflex und schnitt damit einen vergrößerten Fensterausschnitt. Das alte Fenster fiel mir entgegen und ich entsorgte es in demselben Container. Das neue setzte ich ein und putzte es mit Zement fest. Außerdem fügte ich außen noch ein kleines, schräges Fensterbrett aus Schnellzement hinzu. Montag vormittags standen prompt drei Hausmeister draußen im Garten und sagten, das Fenster sei doch neu, es sei auch größer als die anderen und so weiter. Ich ging hinaus, stellte mich dazu und schaute interessiert. Dann behauptete ich, das sei schon lange so, ich sei seit Jahren hier und nichts habe sich verändert. Sie murrten und schoben ab. Später mauerte ich mein Zimmer zu, da es zu einem anderen hin offen war, setzte einen Rahmen und hängte eine Tür ein. Die konnte ich abschließen. Auch bestimmte Nischen ließen sich sägen, wenn man wollte. Michael Krause, den manche kennen, hatte in seinem Raum einen Teil des Bodens heraus gerissen. Es waren ohnehin nur einfache, etwas dickere Fichtenbretter. Anschließend hatte er gegraben, soweit er gekommen war. Dank Michael Krause erhaschte ich einen Blick auf das Fundament. Es bestand aus Betonträgern, die quer zum Haus in die Erde gesteckt waren. Die Baracke lag um etwa drei Treppenstufen erhöht. Die Bausubstanz erklärte ich mir so, dass man irgendwelchen Bauschutt grob gehäkselt und mit magerem Zement gemischt hatte. Buckminster Fuller, der berühmte amerikanische Erfinder und Architekten, hatte 1922 als junger Mann mit seinem Schwiegervater eine Baufirma gegründet. Sie bauten ein paar hundert Häuser, die sich völlig glichen und stockade hießen, was in etwa Palisadenzaun bedeutet. Sie bestanden aus Leichtbausteinen aus Stroh, die mit Zement gemischt waren. Die Häuser der Stockade Building Corporation bestanden aus einem ähnlichen Prinzip, nur dass dort, fast wie aus Tuffstein geschnitten, große Blöcke zuerst gegossen und dann versetzt gemauert waren und vielleicht alle achtzig Zentimeter ein rundes, senkrechtes Loch freigaben, quasi eine Stange in der Wand. Da hinein wurden anschließend Betonstützen gegossen. Das Stroh isolierte und die Betonstangen waren für die Armierung zuständig. Auch die Stockade Buildings lagen etwas erhöht. Fuller unterrichtete später mit Cage, Tudor, Albers, de Kooning und all den anderen Helden am Black Mountain Collage. Unmittelbar nachdem ich an die Akademie gekommen war, fand das Examen für die Abgänger statt. Einer hatte in einem unserer Räume einen Haufen schwarzen Gießereisand ausgebreitet und darin irgendwelche Kanäle geformt. Im Garten davor schmolz er Aluminium. Er musste dazu ein mächtiges Kohlenfeuer unterhalten, denn Aluminium schmilzt erst bei etwa 650° C. Er goss es auf den Sand. Allerdings verschätzte er sich, es floss seitlich aus und setzte den Holzboden in Brand. Es gab große Aufregung, da er fast die Baracke abfackelte. Aber schließlich war ein Feuerlöscher zur Hand. Wir hingegen hatten dafür jahrelang mit dem feinen, beharrlichen Löschstaub zu kämpfen. Im Haupthaus verwirklichte der Pyromane ebenfalls eine Gussplastik, allerdings aus Blei. Er flexte zwei senkrechte Schnitte in die Wand, und es fiel ein drei kantiges Stück, das sich nach unten verjüngte, heraus. Und er setzte ein längliches Aluprofil hochkant davor, es sollte so etwas wie eine stehende, vierkantige Figur zeigen. Oben auf den Zimmerchen der Baracke, die etwa Zweimeterfünfzig hoch waren, saß ein vergleichsweise spitzes Dach, dessen Gerüst aus dünnen Fichtensparren gezimmert war. Mittig konnte man stehen, aber seitlich verlief kein Kniestock. Man gelangte über eine Treppe hinauf, allerdings versperrte oben eine abgeschlossene Tür den Zugang. Wir mussten erst jemandem den Schlüssel abluchsen. Ich kann mich aber nicht erinnern, wer das war. Der Speicher, wie wir schnell heraus fanden, taugte, um alte Plastiken zu verklappen. Die Firma Schwegler, das als Einschub, stellt unter anderem Hummelkästen her. Sie führen für fast alle Tiere, die im Freien leben, für Spechte, Hornissen, Igel, und so weiter, Behausungen. Die alle bestehen aus sogenanntem Holzbeton. Tatsächlich wird da feuchtes, sehr fein gehäkseltes Holz mit Zement vermischt und in eine Form gepresst. Von Gießerei kann man nicht mehr sprechen, sonst hätte ich es längst aufgegriffen. Oben auf dem Korpus liegt ein schwerer Deckel und innen, knapp unterm Rand läuft ein Absatz, in den man ein Brett legt, um die Temperatur im Sommer zu regulieren. Das Material ist aber kalt und schwer und unangenehm anzufassen. Da Hummeln nur Sommervölker bilden und in Kuhlen von Sägespänen leben, finde ich es einigermaßen tragbar. Bienen würde ich darin nicht überwintern wollen. In Bezug auf unseren Garten gab es übrigens einen Unterschied zum restlichen Akademiegarten. Die Hausmeister betraten ihn so gut wie nie. Er war unser Reich und wir machten dort, was uns passte. Der Rest interessierte uns nicht. Ich trieb mich manchmal im Restgarten herum, konnte aber für die offensichtliche Idylle nur mäßige Begeisterung aufbringen. Hinten lag das Haus, wo Robin Page, den alle Käpt´n Blaubart nannten, mit seiner Frau und seinen zahlreichen, riesigen, schwarzen Hunden wohnte. Ich glaube, es waren Neufundländer. Einmal sah ich ihn an der Einfahrt von der Akademiestraße her, innen am geschlossenen Tor, und er lungerte mit diesen langhaarigen, friedlichen Monstern herum, die überall hinschissen. Es gab da seitlich ein Fußgängertor und er bat mich in Zeichensprache, hindurch zu huschen und das Tor schnell hinter mir zu schließen. Er zuckte entschuldigend mit den Schultern und sagte: „Walking the dogs.“
Die Bäume des Hauptgartens waren schön, der winzige Teich vor der Kunststoffwerkstatt war künstlich, er mutete asiatisch an und er vermooste zunehmend. Hinter dem Teich lag ein dichtes Gebüsch. Darin hatte geraume Zeit vor mir jemand Bienen gehalten. Das sagte Franz. Franz war Franz Wagner, einer der Hausmeister. Er wurde mir im Lauf der Zeit ein hoch geschätzter Freund, und von ihm bekam ich schließlich meine ersten Bienen. Wirklich schön fand ich die große Fläche der Blausterne jedes Jahr Anfang April. Das sind etwa zwölf Zentimeter hohe, tiefblaue Blümchen mit Blütentrauben. Sie lieben feuchten Boden und ihre Samen werden durch Ameisen verschleppt. Die Fläche erstreckte sich über die leicht geschwungene Wiese zur Leopoldstraße hin. Unseren sogenannten Privatgarten gruben wir ständig um, man musste höllisch aufpassen, dass man nicht plötzlich in ein zugewuchertes Loch fiel. An der Mauer zum Hauptraum breitete sich Herkuleskraut aus. Das ist ein mannshohes, giftiges Doldengewächs, mit kreisrunden, weißen Blütenflächen, so groß wie ein Panamahut, die aus lauter kleinen Einzelblüten bestehen. Es bietet eine hervorragende Nahrung für Bienen. Es wird nicht gern gesehen, aber wir taten natürlich einen Teufel und ließen es beliebig wuchern. Eines Abends nach einer Jahresausstellung veranstaltete unsere Klasse ein großes Fest. Ein früherer Student hatte einen vier Meter breiten Krater gegraben und den Aushub als Rand aufgeschüttet. Obenauf hatte er ein provisorisches Dach gesetzt. Es bestand aus drahtenen Seilzügen, die dünne, breite Bretter aus Tropenholz, etwas dicker als Furnier, zu einer provisorischen Kuppel spannten. Diese mangelhafte Plastik ging mir vom ersten Tag an auf die Nerven. Während des Festes machten wir ein kleines Feuer am Grund des Aushubs. Dann entschieden ein Freund und ich, dass es genug sei mit der Kleinkrämerei, wir hoben das Dach an, drehen es um und legten es in den Krater. Kurz danach fing es Feuer und eine Stichflamme schoss empor. Daraufhin wieder riefen Bewohner der Türkenstraße die Feuerwehr. Die rückte mit Blaulicht und fünf Löschzügen an. Das Tor war aber verschlossen und sie kamen nicht in den Garten. Daher rannten sie panisch draußen herum und kletterten schließlich von der Türkenstraße her über den Zaun, der nach oben hin ja Spitzen hat. Sie zo - gen einen endlos langen Schlauch hinter sich her, und suchten festen Tritt entlang der Böschung zum Krater hinauf. Das Feuer war da längst herunter gebrannt. Dann gaben sie „Wasser Marsch“ und hielten sich am Schlauch fest wie die „Sieben Schwaben“. Sie standen da mindestens eine halbe Stunde, das Feuer war dreimal ertränkt, aber sie pullerten weiter und ließen den ganzen Aushub voll laufen. In einem Spätsommer, wurde der alte Häuserblock an der Panzerwiese, wo ich damals wohnte, abgerissen. Ich hatte vereinbart, in eine Wohnung in der Lothringer Straße ziehen zu können. Doch das Zimmer dort sollte erst vier Monate später frei werden. Da beschloss ich, es eben mit den Eltern, die ich jahrelang gemieden hatte, noch einmal zu versuchen. Doch nach zwei Tagen hatte ich bereits genug und schlief auf einem aufklappbaren Feldbett in der Akademie. Erst blieb ich im Garten, dann, als es kalt wurde, ging ich in meinen Raum. Das wurde eine seltsame Erfahrung. Denn die Akademie damals war eine Insel mitten in der Stadt. Dort zu schlafen, dann morgens in die Cafeteria zu tappen, um den ersten Caffé zu schlürfen, dann vielleicht mittags dort zu essen und abends dort zu saufen, ließ einen binnen einer Woche den Bezug zur Realität verlieren. Wenn ich nicht bei Freunden auf der Couch schlafen konnte, saß ich in der Akademie fest, und nach vier Monaten reichte es mir ziemlich.
Zu unserem Garten fällt mir noch eine Menge ein. Die Klasse Dengler beispielsweise hatte dort nur einen winzigen Platz entlang ihrer Klassenräume für sich beansprucht und ein Gemüsebeet angelegt. Es wuchsen Salatköpfe und Karotten und ein paar Kräuter. Ich stand diesen Beeten kritisch gegenüber. Der Boden, schien mir, war verdorben und ich hätte nichts davon gegessen, vor allem nicht Salat. Übrigens ist so ein Projekt in diesem Jahr im Rosengarten am Schyrenbad, wo seit 20 Jahren meine Bienen stehen, zu Ende gegangen. Man hatte Nutzern je zwei Quadratmeter für einen Sommer vermietet. Dann stellte sich jedoch heraus, vor kurzem erst, dass dieser Boden, der zuvor zum Abfallwirtschaftsamt gehört hatte, kontaminiert ist. Seither ließen die Leute, die zuvor eifrige Esser gewesen waren, ihr Gemüse und ihre Kräuter ausblühen. So stelle ich mir auch den Kräuteranbau im Akademiegarten vor. Man muss erst den Boden prüfen. Anders ist es bei bestimmten Formen des Guerilla-Gardenings, bei dem man nur Pflanzensamen über Zäune streut ohne den Wunsch, die Saat zu essen. Ein Freund hatte Schlafmohn kultiviert und dessen Samen geerntet und wir warfen ihn in allerlei bürgerliche Gärten, wo er aufging und seine schönen Blüten entfaltete. Ein anderer Freund war Bauer oben im Hunsrück bei Idar-Oberstein, der alten Steinschleiferstadt. Er legte jedes Jahr große Maisfelder an und ließ in deren Mitte runde Flächen frei, auf denen er Gras anbaute. Das rauchten wir dann. Sein Ackerland hatte früher als Abraum für nicht nutzbare Edelsteine gedient. Man hatte das Zeug einfach dort hin gekippt. Gelegentlich pflügte er beispielsweise einen brasilianischen Rauchtopas auf und ohnehin alle Arten von billigen Kristallen, Zitrite, Rosenquarze, Amethyste und so weiter. Er sammelte sie auf seinem Fensterbrett. Edgar Stein, auch aus der Klasse Dengler, mit dem ich später in Straubing im ehemaligen Schlachthof, viel zusammen saß, hatte im Barackengarten seine Boote gelagert. Er flexte dazu Öltanks auseinander und kalfaterte sie. Dann transportierte er sie nach Straubing, wo die Donau fließt. Er schraubte einen Außenborder dran, ließ sie zu Wasser und kurvte herum. Sozusagen als Fortsetzung schweißte er sich aus gebogenen Stahlstangen runde Steuerräder, die über Seilzüge den Außenborder bewegten. Im Barackengarten reparierte ich mehrfach mein Auto, einen roten R4. Ich bockte den Wagen mit Ziegelsteinen hoch auf, dann kroch ich darunter und wechselte beispielsweise die Bremsbeläge oder setzte eine neue Kupplung ein. Einmal schlenderte Stefan Lehnerer vorbei, der zu den ersten Studenten in unserer Klasse gehört hatte und damals so etwas wie ein Mythos war. Vielleicht war er auch kein Mythos, aber eine Besonderheit. Er bemerkte, das Auto im Garten sei die beste Plastik. Damals war ich längst in der Bildhauerei angekommen und dachte: „Vor so schnell hingeworfenen Bemerkungen muss man sich hüten.“ Überhaupt aber fuhr ich öfters mit dem Auto in unseren Garten hinein. Es gab eine Auffahrt und man musste sich, hinter den Abfallcontainern vorbei, durch den üppigen Bewuchs hindurch schlängeln und die vielen Löcher im Boden und die Eisenstücke, die scharfkantig heraus ragten, umkurven. Gelegentlich lieferte ich Sand oder Kiesel von der Kippe in Riem an. Der Wagen war ausgelegt für etwa 300 kg Zuladung und ich beförderte mindestens 600 kg. Dadurch ragte der Kühler des Wagens hoch wie bei einem Rolls Royce. Die Ladung schaufelten wir durchs Fenster in den großen Raum. In unserer Klasse wurde zunächst viel in Ton gearbeitet. Auch ich hatte damit begonnen, bis ich fest - stellte, dass das nichts für mich war. Die nächste Generation der Studenten entdeckte das Gießen. Es gab natürlich Übergangsgenerationen. Ich glaube, ich gehörte zur zweiten oder zweieinhalbten. Das Gießen wurde für mich das Eigentliche. Vor allem im ehemaligen Schlachthof in Straubing, der offiziell eine Dependance der Akademie sein sollte, aber eigentlich unserer Klasse gehörte, gossen wir wie die Wilden. Die Palette reichte von Gips und Zement über verschiedene Wachse zu Schwefel zu Blei, Zinn, Zink und Aluminium bis hin zu Eisen. In Straubing bauten wir tatsächlich einen Kupolofen, einen professionellen Eisengussofen, den wir mehrmals benutzten. Nur Bronze ließen wir aus. Es ist ein überfrachtetes, traditionsbehaftetes Material. In Straubing saßen wir abends oft zu dritt oder viert in der Küche, kochten und soffen uns grandiose Räusche an. Übrigens unterhielten wir enge Beziehungen zur Klasse Kornbrust. Viele meiner Freunde studierten bei ihm. Vor Kurzem habe ich gelesen, dass Heiner Kirchner, der Professor meines Professors, zunächst die Gusswerkstatt geleitet hatte und dann in den Rang eines Professors erhoben worden war. Beim Bronzeguss hatte er das uralte Wachsausschmelzverfahren neu entdeckt. Seltsamerweise hatte ich Heiner Kirchner kennengelernt, als ich etwa 18 Jahre alt gewesen war. Damals wusste ich noch nichts. Ich zeichnete wohl viel, aber das war auch alles. Heiner Kirchner war damals bereits ein alter Mann, der in seiner Werkstatt stand und freundlich mit mir sprach. Später bekam ich aus seinem Nachlass einige Bände der frühen bienenkundlichen Werke von Enoch Zander, einem berühmten Bienenforscher aus den Zwanziger- bis Fünfzigerjahren geschenkt. Im Laufe meines Studiums neigte ich mich dem Thema Bienen zu. Bei den Bienen ist der Standort Stadt übrigens anders, da die Pflanzen gute Filtereigenschaften besitzen und beispielsweise die Schwermetalle nicht bis in den Nektar gelangen, schon gar nicht bei den Bäumen. Daher kann man in der Stadt biologisch imkern, wenn man seine Bienen so aufstellt, dass die Abgasschwaden der Autos nicht ins Flugloch dringen. Dafür habe ich immer gesorgt, wenngleich anfangs unbewusst. Mit Neonicotinoiden und Glyphosat, die auf die Pflanzen zugeschnitten sind, muss man sich nicht herum schlagen. Der vorhin erwähnte Franz Wagner war Rumäniendeutscher und hatte zuhause 400 Völker im Nebenberuf gehalten. Franz war Gießermeister in einer Eisengießerei in Temeswar gewesen. Er half Emmy Di SanCarlo in der Cafeteria oder stand bei Festen im Ausschank. Dort traf man dann regelmäßig mich ebenfalls an, da ich ihm Löcher in den Bauch fragte. Er hatte einen kleinen Bienenstand im Schweizerholz, außerhalb der nördlichen Autobahnumfahrung, links von der Fortsetzung der Leopoldstraße, nicht weit von der Schleißheimer Flugwerft. Emmy war damals die Pächterin der Cafeteria und wohnte in Hochmutting. Sie half gelegentlich am Bienenstand, wenn es ums Schleudern ging. Ansonsten blieb sie fern. Die beiden besaßen die Bienen gemeinsam oder zumindest teilweise gemeinsam. Was Franz und sie verband, blieb mir verborgen. Das Bienenhaus lag mitten im Wald und war von einem hohen Zaun umgeben. Dort standen 25 bis 30 Völker. Franz wurstelte ständig herum und strich jedes einzelne Stück Fläche mit hellbrauner Abtönfarbe. Mir war er ein geduldiger, aber unnachgiebiger Lehrer. Er war für jemanden wie mich, der dauernd alles hinterfragt, das Beste, was mir passieren konnte. Er veranlasste, dass mir von den Hausmeistern das kleine, aufklappbare Bienenhäuschen, das im Akademiegarten im Gebüsch hinter dem Teich gestanden hatte, in den Barackengarten getragen wurde. Eines Abends im Jahr 1992 fuhren Franz und ich zu seinen Bienen hinaus und er verkaufte mir drei Völker, die wir in die Stadt herein schafften. Das war dann der Anfang einer ganz neuen Zeit. Denn die Bienen treten in ein Leben wie ein großes Haustier, wie ein Pferd vielleicht. Es gibt ein wunderbares Foto, das ein Freund gemacht hat, der damals mit Architekturfotografie sein Geld verdiente. Man sieht meine Bienenkästen, das Häuschen, die Baracke und das Akademiegebäude, lauter unterschiedliche Formen. Dazu erkennt man das vorhin erwähnte Herkuleskraut. Anfangs erntete ich natürlich wenig Honig. Ich gewöhnte mir zudem an, jeden überschüssigen Honig in Eimern unters Bett zu schieben. Später eröffnete ich im Keller ein zweites Lager. Ich wusste einfach nicht, wohin damit. Nach Jahren begann der Verkauf in größerem Umfang. Im Grunde hielt ich die Bienen um der Bienen willen. Sie lagen mir am Herzen. Den Honig sah ich als die Nebensache, der man eben nicht entgeht. Den Nutzen des Honigs verstand ich erst spät, nicht den gesundheitlichen, sondern denjenigen, ein Botschafter zu sein. Menschen, die den Honig meiner Bienen essen, entwerfen sich ein Bild, sie besuchen den Bienenstand, sie interessieren sich, schneiden Zeitungsartikel aus, in denen es ums Bienensterben geht, sie verfolgen aufmerksam jede Nachricht. Ich bekomme häufig Mitteilungen, wann das nächste Imkertreffen ist, wann ein Film im Fernsehen gezeigt wird und ich werde über neue Erfindungen informiert. Katharina bat mich, ein paar Worte über den Stadthonig als Nahrungsmittel zu sprechen. Allerdings bin ich dazu nicht der Richtige. Man weiß, dass Bienenprodukte auf der Grenze zu Stoffen mit Heilwirkung liegen. Insbesondere Propolistinktur, die ich für den privaten Gebrauch anfertige, half mir letzten Sommer, eine tiefe Wunde im großen Zeh meiner Tochter zu behandeln. Manche lutschen Propoliskügelchen beim ersten Anflug einer Erkältung, denn es ist ja dessen antibiotische Wirkung bekannt. Die Verwundeten (ich vermute) des Zweiten Weltkriegs bekamen Umschläge mit Zucker oder Honig.
Inzwischen, ganz neu und ziemlich teuer, gibt es ein Honigkochbuch. Das geht in Richtung Kochkultur und Esskultur, und ich war versucht, es zu kaufen und hier Rezepte vorzulesen. Ich kann nur sagen, es fällt mir schwer, den Honig als reines Nahrungs- und Genussmittel aufzufassen, etwas, das morgens auf dem Frühstückstisch steht. Für mich ist Honig nach wie vor ein Kundschafter. Er berichtet den Käufern von den Bienen und den Pflanzen, allgemein von den Naturzusammenhängen und von den klimatischen Veränderungen. Zu den Anpflanzungen rund um die Städte habe ich eine unklare Meinung, die mal in die eine, dann in die andere Richtung ausschlägt. Mir entgeht natürlich nicht, wie viele Imker und streitbare Leute, die an der Erhaltung der Naturzusammenhänge interessiert sind, der Bund Naturschutz und Naturkundler und so weiter sich gegen Neonicotinoide und Glyphosat wenden. Diese Stoffe werden von den großen Düngemittelkonzernen nach wie vor hergestellt. Manchmal geschehen Unfälle wie im Jahr 2008 in der Oberrheinebene. Ich berichte das jetzt nicht im Einzelnen, aber es starben dabei aufgrund eines Fehlers, den ein großer Konzern begangen hatte, etliche 10.000 Bienenvölker. Das ganze Gefecht ähnelt einem Kampf von Titanen. Sehr vereinfacht will ich es so beschreiben: Die einen sind viele, die anderen haben das Geld. Manchmal erringt die eine Partei einen Sieg, manchmal die andere. Ich bin nicht auf dem Laufenden, wo der Streit gerade steht. Ich bin auch kein Prophet, sondern Künstler. Ich bin nicht einmal jemand, der über das künstlerische Projekt hinaus einen großen Entwurf in den Raum stellen kann. Mir fiel jedoch auf, dass auf dem Land bestimmte Gebiete mit außergewöhnlichen Pflanzen, die wertvollen Nektar liefern, bestanden sind. Es gibt die Lüneburger Heide samt einer eigenen Bienenrasse und Heidehonig, den Pfälzer Wald mit Esskastanienhonig, den Weg nach Murnau hinaus mit überdüngten Wiesen, die einmal im Jahr knallgelb voller Löwenzahn blühen. Ich kenne das Gebiet westlich von Frankfurt, die Hänge hinab ins Rheintal, jene Anbaufläche, worauf Eckes Edelkirsch seine Pranke gelegt hat. Dort wachsen haufenweise Kirschbäume, dazu Zierobst. In Kalabrien und Sizilien fand ich Orangen- und Zitronenplantagen, dazu einen großblütigen, sehr roten Klee, der auf Sizilien sulla heißt und wahrscheinlich Inkarnatklee ist. Er wird als Futter verwendet. Im Mittelmeerraum, vor allem aber auf Sardinien und Elba gibt es größere Bestände des Corbezzolo-Strauches, der im Winter blüht und hier missverständlich Erdbeerbaum heißt. In Ungarn stehen ausgedehnte Robinienwälder, die Akazienhonig liefern. Es gibt Sonnenblumen in Frankreich und schließlich noch unseren Wald oder diverseste Linden hier in der Stadt. Das ist gewiss eine unvollständige Aufzählung besonderer Trachten. Damit will ich jedoch sagen: Man muss seine Bienen nicht Raps befliegen lassen. Der Raps ist etwa zu 70 % ein Windbefruchter. Diese Pflanzungen kommen also ohne die Biene zurecht. Der Mais liefert keinen Nektar und nur wenig Pollen. Also kann man seine Bienen auch von dort abziehen. Man sollte weiter gegen Neonicotinoide und Glyphosat ankämpfen, aber man muss den Dreck nicht auch noch essen. Rapshonig ist ohnehin so billig, dass sich all die Arbeit, vom Schleudern über das Filtern über das Rühren, die Gläser und das Abfül - len, kaum lohnt. Viele Imker klagen bei uns über einen Mangel an Bienen, zahlreiche Jungimker gehen erst einmal leer aus. Jene hypothetischen Imker, die sich dem Raps und dem Mais entziehen, könnten vermehrt Ableger bilden und diese verkaufen. Sie könnten während der Zeiten, die auf dem Land ausgespart würden, in die Stadt ziehen. Im nördlichen Englischen Garten ließen sich riesige Quartiere ausweisen, die sie vorübergehend anwandern könnten. Dieser Vorschlag ist nur eine Möglichkeit und sicher lückenhaft. Was wir aber sicher brauchen, was in der Stadt halbwegs gegeben ist, auf dem Land kaum, ist Vernetzung. Es gibt mehrere Großgruppen von Imkern und sie tauschen sich wohl nach innen hin aus, aber die Gruppen als Ganze schotten sich ab. Sie haben jedoch ein giganti - sches gemeinsames Problem, das ist die Varroamilbe. Zwischen den Eigenbrötlern, denen auf dem Land und denen in der Stadt und untereinander müssen mehr Informationen ausgetauscht werden. Wofür ich ebenfalls sorgte, das jedoch bewusst, war, dass die Bienen in einem öffentlichen, städtischen Garten zu stehen kamen und dass man sie aufsuchen kann. Viele Besucher des Rosengartens am Schyrenbad, gehen bei den Bienen vorbei, schauen ein wenig herum und informieren sich dadurch über die Geschehnisse im Jahresablauf. Übrigens schubste jemand im Jahr 2016 zwei meiner Bienenstöcke in den Schyrenbach, der vor ihnen vorbei fließt. Das war bereits einmal geschehen, vor zahlreichen Jahren. Diesmal sprach ich mit einem der Stadtgärtner und er sagte: Ruf die Zeitung an. Also telefonierte ich sie alle durch. Und die von der TZ schickten binnen einer halben Stunde ihren Fotografen. Wie es bereits gesagt wurde: Das Halten von Bienen ist heute ein Politikum.