sculpture sonore


Die Wertschätzung, die John Cage für Marcel Duchamp empfand, erstreckte sich über ein halbes Jahrhundert und bezog sich nicht nur auf dessen Kunstausübung, sondern auf die Präsenz, mit der er im Leben stand. Cage und Duchamp waren zeitlich mindestens eine Generation voneinander entfernt. Cage hatte übergroßen Respekt vor dem Älteren und näherte sich vorsichtig an. Er benahm sich wie ein schüchternes Kind, dem die Tante erklärt, dass es stört. Cage stellte eines Tages Teeny Duchamp die Frage, ob es wohl sehr aufdringlich sei, ihren Mann zu bitten, ihm das Schachspielen beizubringen. Teeny antwortete lapidar: „Frag ihn.“ Cage fand sich von da an wöchentlich ein und spielte gegen den Meister. Man muss dazu vielleicht wissen, dass Duchamp auf professionellem Niveau spielte. Cage berichtet im Jahr 1992 in seinem letzten Interview, dass er kein einziges mal gewonnen habe, allerdings nicht, weil es keine Möglichkeit gegeben hätte, sondern weil seine Absicht nicht im Gewinnen lag. Er suchte einfach Duchamps Gesellschaft. Er berichtet außerdem, dass Duchamp darüber erzürnt war. Ich vermute, dass Duchamp ein paar mal absichtlich eine Öffnung ließ, Cage aber widerstand und nicht in die Lücke vorpreschte. Offenbar unterhielten die beiden sich außerhalb der ausgiebigen Schweigeperioden, die beim Schachspiel üblich sind, über Kunst. Duchamp ging kaum einmal zu einer Ausstellung, wusste aber umfassend Bescheid. Auch mithilfe des Zufalls hatte er bereits komponiert, was Cage den Boden unter den Füßen wegzog, denn das war bereits 1912 gewesen, im Jahr, als Cage geboren worden war. Weiter setzte Duchamp den Zufall als generierendes Prinzip ein, arbeitete jedoch nicht mit Münzen oder Stöckchen, also dem I Ging, sondern erfand auf subtile Weise eigene Möglichkeiten. Cage indessen besetzte diese I-Ging-Nische völlig. In Interviews mit Duchamp steht zu lesen, dass er die Wertschätzung für Cage teilte, er erwähnt besonders dessen Humor und die Leichtigkeit, mit der Cage dem Leben begegnete.
Das besagte Interview mit Cage wurde von Joan Retallack, einer amerikanischen Dichterin, von 15. bis 17. July 1992 geführt und ist in der Wesleyan University Press erschienen. Zu dem Gespräch kommen drei weitere zwischen September 1990 bis 30. Juli 1992. Cage starb am 12. August 1992. Zu dieser Zeit stand eine umfassende Werkschau zu seinem 80. Geburtstag kurz bevor.


In einem Interview aus dem Jahr 1959 mit dem wöchentlich erscheinenden Nachrichtenmagazin Newsweek, New York, (gesammelt und übersetzt von Serge Stauffer) sagt Duchamp:
"Ich glaube, man könnte sagen, ich verbringe meine Zeit mit Atmen", schloss Duchamp ab mit einer Fröhlichkeit, die seine Lust am Lebensakt bekräftigte. "Ich bin ein respirateur - ein Atmer. Ich genieße das ungeheuerlich."