Bienenstockbrettchen


„In bestimmten Landschaften Sloweniens hat sich über zwei Jahrhunderte“, dem Achtzehnten und Neunzehnten, „die einzigartige Tradition herausgebildet (...), die Stirnbrettchen der hölzernen Bienenstöcke mit religiösen und profanen Bildern zu bemalen.“ Zu einer meiner Ausstellungen, ungefähr im Jahr 2006, bekam ich von einem Freund einen Katalog geschenkt. Er trug den Titel „Bunte Bilder am Bienenhaus“ und er war anlässlich einer Präsentation dieser bemalten Brettchen im Bayerischen Nationalmuseum im Jahr 1991 heraus gegeben worden. Man hatte so viel Material wie möglich zusammen getragen und einen kunsthistorischen Katalog gedruckt. Das Augenmerk allerdings beschränkte sich vorwiegend auf die Untergründe, die Farben und Lacke und erst recht auf die Motive und wie sie sich gliedern ließen. Mich hingegen interessierten sofort die Kästen, die sich dahinter erstreckten, und ihre Abmessungen. Wie ich erkennen konnte, waren es einfache Lagerbeuten, nicht allzu groß, und mit dünnen Wänden. Im Winter mussten sie sicher in Bienenhäusern untergebracht werden und im Sommer, beim Wandern, stellte man sie in den Schatten. Die Formate sind nicht gleich. Manche ähneln in der Proportion dem heutigen Zandermaß, sind aber deutlich kleiner. Manche ähneln dem Dadant- oder dem Deutsch-Normal-Verhältnis. Wie es in einem ersten Aufsatz heißt, sind die Brettchen meistens zwischen zwölf und fünfzehn Zentimetern hoch, sie sind querrechteckig und das Verhältnis von Höhe zu Breite liegt zwischen 1 : 1,8 und 1 : 3,5. Die häufigste Proportion liege aber bei 1 : 2,3. Das Flugloch befand sich als Schlitz unten am Stirnbrett. Als ich meine Bienenstöcke aufstellte, brachte Franz mir bei, auf welche Temperaturphasen der Bienenhalter im Lauf eines Jahres reagieren muss. Daher schnitt ich Aluminiumbleche im liegenden Querformat zu und brachte darin ein größeres und ein kleineres Flugloch unter. Die Höhe betrug jeweils acht Millimeter, da diese den Bienen entspricht und die kleinste Feldmaus, die sich nur durch ein Loch von zehn Millimetern Höhe zwängen kann, abhält. Danach lackierte ich die Bleche in unterschiedlichen Farben und schraubte sie vorn an die Kästen. Die Farbe, wie man weiß, bildet eine zusätzliche Orientierungshilfe für die Bienen. Weiter kommt vermutlich das Sterzeln hinzu. So bezeichnet man das Emporrecken des Hinterleibs, während die sechs Beine der Biene fest aufs Flugbrett gestemmt sind. Die Biene klappt das letzte Segment ihres Hinterleibs schräg nach unten und öffnet eine Drüse, die einen Lockduft produziert, und sie fächelt den Duft vom Stock weg in die Luft. Man ist sich, wie bereits gesagt, noch nicht sicher, ob er der jeweilige Stockduft den anfliegenden Bienen als Orientierungshilfe dient, geht aber zunehmend davon aus. Bei den farbigen Hilfen stelle ich es mir so vor, dass hier quasi die seitlichen Positionslichter einer Landebahn aufleuchten, die einem Piloten, zusätzlich zur Instrumentennavigation, eine optische Hilfe zur Landung geben. Der ausgesendete Duft rieche melissenartig, wird gesagt. Auch welchen Stellenwert er innerhalb der gesamten Bienenorientierung hat, beispielsweise in welchem Verhältnis er zur Farbe der Brettchen am Bienenstock steht, kann ich nicht sagen. Außerdem ist mir nicht klar, wie sich die Düfte, die von den einzelnen Völkern ausgesendet werden, unterscheiden.





Auf Fotos von Gestellen, die man sich ein wenig umständlich auf den Rücken schnallte und die dem Wandern mit den Bienen dienten, erkennt man, dass die Stöcke häufig ähnlich lang und etwa gleich breit sind, aber unterschiedlich hoch. Am Schluss des Kataloges ist eine Bauanleitung eingefügt. Dort sieht man, dass sie für alle Beuten gleich ist. Fünf Bretter wurden zusammen genagelt, während man ein sechstes als Deckel obenauf legte und festspannte. Das bemalte Stirnbrett wird von allen Seiten gehalten. Diese simple Bauweise faszinierte mich. Noch nicht mit in der Zeichnung enthalten waren die späteren Auflageleisten. Die hängenden Waben, in hölzernen Rähmchen und mit Mittelwänden, die aus Wachs gegossen waren, entwickelte man in Slowenien um die Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts. Es gab danach einige Bemühungen, die Maße zu vereinheitlichen, indem man beispielsweise das sogenannte Deutsch-Normalmaß einführte. Gleichzeitig bemühte man sich, Absperrgitter zu verbreiten, um den Brut- vom Honigraum zu trennen, wie es heute üblich ist. Doch da viele Bienenhalter weiterhin im privaten Bereich verblieben und ihre Kisten zusammen nagelten, ohne nähere Kenntnisse der Tischlerei zu haben oder sich auf die neusesten Entwicklungen in der Bienenkunde einzustellen, blieben sie bei der hergebrachten Imkerei, bei der die Bienen ihre Waben an den Deckel eines Kastens hängten und drinnen wild bauten. Doch was im Slowenien des Neuzehnten Jahrhunderts dem natürlichen Entwicklungsstand entsprach, ist heute verschroben. Man kommt bei jener Betriebsweise heraus, die von der anthroposophischen Plattform mellifera propagiert und als wesensgemäß bezeichnet wird.
Für die Bienenstockbrettchen an den slowenischen Kästen, das erfährt man nach und nach, ergab sich eine ungefähre Breite von 35 Zentimetern. Das war das Maß, auf das sich die Maler einstellten. Die Kästen unterscheiden sich vorwiegend in Bezug auf die Höhe.
(Natürlich reizte es mich sofort, ein architektonisches Modell eines dieser Kästen aus Gips nachzubauen. Ich plante, es in der Mitte eines Architekturbüros auf einen Sockel zu setzen und außen herum, an den Wänden, die farbigen Motive auf Papier gedruckt zu präsentieren. Da es sich um eine Behausung handelt, wenngleich nicht für Menschen, fand ich, hat man es mit einem architekturalen Thema zu tun.)





Eine vielfach gezeigte Szene ist der sogenannte Weiberstreit um eine Männerhose. Dabei sieht es so aus, als stritten die Damen zwar untereinander, doch eine schlägt mit dem Kehrichtbesen auf die Hose, die von oben an einem Haken ins Bild hängt, andere reißen daran. „Das Motiv geht mindestens ins Fünfzehnte Jahrhundert zurück und ist in ganz Europa verbreitet; es wird von einer graphischen Vorlage auf die Bienenstöcke übertragen worden sein.“ So heißt es im Katalog. Übrigens gibt es als Bild auch die Tiere des Waldes, die den toten Jäger tragen. Es zeigt sich, dass was immer an Geschichten kursierte, dort gemalt worden ist. Der geografische Raum erstreckt sich ab südlich Klagenfurts bis Ljubljana, das noch innerhalb des Verbreitungsgebietes liegt. 3.000 Brettchen seien heute erhalten, in Wirklichkeit müssten es aber, da man gelegentlich die Anzahl der Stöcke gezählt habe, um die 50.000 gewesen sein. So schätzt man im Katalog.




Schließlich ist noch vom Leben der Bienen allgemein und speziell in Slowenien die Rede. Die in Süddeutschland heimische Krainerbiene oder Kärntnerbiene, die carnica-Rasse, soll in dieser Region ihren Ursprung haben. Damals begann man allerdings auch, andere Rasse nach Slowenien zu importieren, beispielsweise die Italienerbiene.
Auf der Schwelle ins Zwanzigste Jahrhundert hinein tendierte man, wird im Katalog geschrieben, zur Standardisierung der Stöcke. Man neigte größeren Wabenmaßen zu und suchte entsprechend die ideale Anzahl. Hier kam dem „deutschen Bienenzuchtfachmann Gerstung“ eine besondere Rolle zu, da man sich kurzfristig auf das von ihm vertretene Format einigte. Das Gerstungmaß beträgt 41 Zentimeter mal 26 Zentimeter. Gerstung fasste das Bienenvolk erstmals als einen Organismus höherer Ordnung auf. Er ging davon aus, dass dessen Funktionen durch den Futtersaftstrom reguliert werden. Wenig später wurde er von einem slowenischen Züchter abgelöst. Der behielt zwar das Wabenmaß bei, änderte aber die Aufteilung der Stöcke und setzte sich in der südslawischen Region, da er die Hinterbehandlungsbeute wieder einführte, vor allem bei den Wanderimkern durch.

Daneben betrieben die einfachen Imker die oben beschrieben Kastenbeuten mit den bemalten Stirnbrettchen weiter, ohne sich um die neuesten Entwicklungen der Großimker zu scheren. Die Krainer Biene stand regional zur Verfügung. Man musste sich nicht um deren Reinzucht kümmern. Auch ausbastardisierte Völker taten ihren Dienst. Der Beginn des ersten Weltkrieges, heißt es, bildete dort eine Zäsur. Die letzte bekannte Malerei stammt aus dem Jahr 1912.