Invertase


Es gibt meistens einen Bienenstock, den ich den gesamten Sommer über ganz in Ruhe lasse. Ich nehme keine Eingriffe vor, verhindere das Schwärmen nicht und die Mädels sind auch im Winter auf sich selbst gestellt. Nur gegen die Milbe behandle ich selbstverständlich. Man könnte poetisch sagen: Diese ist von den Menschen gebracht und muss von ihnen auch wieder entfernt werden. Praktische Gründe sind, dass man verhindern will, dass das Volk über den Winter eingeht und Rückinfektionen in die anderen Völker am Stand trägt. Dieser eine Bienenstock, den ich in Ruhe lasse, sammelt seinen eigenen Honig, lagert ihn ein und isst ihn im Winter.





Strukturformel


Invertase ist ein Enzym, mit dessen Hilfe Einfach- und Zweifachzucker in den Invertzucker aufgespalten werden. Früher sagte man zu Invertzuckercreme Kunsthonig, was eine zwar lustige, aber nicht allzu bedeutende Analogie ist. Invertzuckersirup lässt sich bereits fertig angemischt im Imkerbedarfsgeschäft kaufen. Es ist ein Gemisch aus Fructose, Glucose und Saccharose in entsprechender wässriger Verdünnung. Fructose und Glucose sind Einfachzucker. Saccharose ist ein Zweifachzucker. Die Lösung ist den Bedürfnissen der Bienen angepasst. Die Mischung wird den Bienen für den Winter deshalb gefüttert, da sie sie am besten verdauen können, beziehungsweise der Darm am wenigsten belastet wird. Ist es im Winter über lange Zeit hin durchgehend kalt, können die Bienen ihren Bau nicht verlassen, um den Darm zu entleeren. Melezitose beispielsweise wird von Blattläusen ausgeschieden und ist ein Dreifachzucker, der sofort eindickt. Für den Bienendarm ist er am wenigsten verträglich. Verzichtet man nach einer ausgiebigen Waldtracht (die es nur auf dem Land gibt) aufs Schleudern, werden die Bienen im Winter ziemlich sicher an der Ruhr erkranken.

Von den meisten Imkern wird den Bienen derjenige Honig belassen, den sie im Brutbereich gelagert haben. Oft füllen die Bienen die beiden unteren Räume seitlich mit Honig, sie legen zunächst volle Randwaben an und man füttert ihnen gemäß des Gewichtes, das der Stock bereits besitzt, die restliche Invertzuckermischung, so dass über dem natürlichen Sitz des Volkes, das sich im Herbst nach unten verlagert hat, ein Honigkranz entsteht. Die Bienen fressen sich dann über den Winter nach oben. Manche Imker gehen sogar ganz genau: Sie wiegen ihre Stöcke. Dann berechnen sie die Anzahl der Bienen, ihren Bedarf über den Winter und das fehlende Futter. Bei mir gehts nicht so genau. Ich schaue, wie viele Bienen im jeweiligen Stock sitzen, wie viel Honig eingelagert ist und prüfe das gesamte Gewicht, indem ich die Stöcke hinten auflüpfe. Wenn ich mir unsicher bin, gehe ich meine Aufzeichnungen über die sommerliche Entwicklung des einzelnen Volkes durch und füttere dann eine geschätzte Menge.

Die Hauptverteiler


Nachdem Honig sich als mein Jahresthema eingeschlichen hatte, verwendete ich diesen Sommer auf die Organisation der großen Verteiler. Ohne Freunde hätte ich es nicht geschafft, so weit zu kommen. Jetzt stehen jeweils einige Hauptverteiler in der Startposition und warten gespannt auf das Jahr. Mich erreichen ständig Anfragen, wo denn der Honig dieses Jahres und auch der künftige zu kaufen sei.


Gelegentlich werde ich gefragt, was es denn eigentlich bezüglich der Bienen zu arbeiten gebe über das hinaus, was die eigentliche Mühe der Honiggewinnung ist. Was passiert direkt am Bienstock? Die Frage bezieht sich auf die Themen, die sich aus der komplexen Struktur der Bienen wie von selbst auffalten. Meistens können sich die Fragenden, nachdem ich ein paar Erklärungen angerissen habe, zwar vorstellen, dass die Bienenhaltung schwer zu erlernen ist. Aber sie fragen sich zurecht, wie einer das in Kunst verwandelt. Meistens, und das antworte ich, beschäftigt mich ein Thema ein Jahr lang. Manchmal setze ich mir ein Jahr als Frist. In Wirklichkeit ist es keine so strenge Abgabefrist wie bei der Steuererklärung. Meistens beschäftigen mich mehrere Themen gleichzeitig, einige sind sekundär, andere muss ich aufschieben, da sie meine Kapazität übersteigen. Bislang bin ich auf keine natürliche Grenze gestoßen. Allerdings beginnt das sogenannte Bienenjahr am ersten August. Sieht man das Thema also eng, sozusagen wie ein Kunstbeamter, ergeben sich daraus fünf Monate Unterschied zum Kalenderjahr, und die nutze ich zum Nachsinnen. Fasst man den Januar als Zeit ins Auge, an dem sich ein Thema ausreichend geklärt haben sollte, an dem man sozusagen die Werkstatt zusammenkehrt und anfängt, das Geplante auszuführen, kommt man dem Prozess am nächsten.




Die Frage nach dem Honig gewann für mich weiter an Bedeutung. Franz und ich hatten den Honig als Nebenprodukt eingegliedert. Selbstverständlich gewinnt man ihn mit Umsicht. Ich hatte stets den Eindruck, er sei mehr als ein Lebensmittel. Doch erst nach 19 Jahren stellte ich fest, dass der Honig die Konsumenten dazu führt, sich für die Bienen, von denen er stammt, zu interessieren. Im engsten Fall wollen sie an der Ernte teilnehmen oder zuschauen, wenn ich die Bienen besuche. Oft fragen sie mich stundenlang aus. Der Honig ist, wie gesagt, das fehlende Glied, dachte ich in diesem Jahr. Deshalb schaute ich ihn genauer an, die unzähligen Zuckersorten und die Pflanzen, die sie zuwege bringen, die unterschiedlichen Honigfarben und verwandte Themen.




Aufgrund des feuchten, weder regnerischen, noch windigen Wetters im Mai 2008 blühten die Robinien ausgiebig. Das geschah zum ersten mal seit 16 Jahren und hatte mit der klimatischen Veränderung zu tun. Sie verschiebt die Blühzeiten aller Pflanzen. Während die Robinie und die Linde sich gewöhnlich überlappten, blühten sie in diesem besonderen Jahr getrennt. Früher begannen die Linden Mitte Juni zu blühen, heute am Anfang. Kurz davor regnet und stürmt und hagelt es oft. Die Blüte der Robinie wurde zahlreiche Jahre hindurch von gewaltigen Winden und nächtlichen Regenstürzen weggespült. Wenn man morgens aus dem Haus trat, lagen die feinen, weißen Blüten im Rinnstein. Im Jahr 2008 allerdings endete die Robinienblüte genau vor der Lindenblüte und das war am 4. Juni. Es war feuchtwarm, es regnete nicht, hagelte nicht, der Wind wehte lau und langsam, manchmal nieselte es nachts gemächlich vor sich hin. Die Robinien blühten und dufteten schwer und süß. Sobald die einen Blüten gefallen waren, erblühte der gesamte Baum quasi neu. Die Robinie ist, was den Honig betrifft, äußerst ergiebig. In der imkerlichen Fachsprache bezeichnet man das als „Honigwert“. Am Rosengarten stehen einige dieser Robinien, nicht gerade ein Wald, aber doch so viele, dass es ausreichte, die Honigräume innerhalb weniger Tage zu füllen. Daher ergab sich ein wunderbar schmeckender, einzigartiger Honig. Die Robinie liefert, wie schon erwähnt, den Akazienhonig. Er ist fast durchsichtig und bleibt Jahre lang flüssig. Im Sommer 2003 war es monatelang dermaßen heiß, dass man sich nicht bewegen wollte. Die Meteorologen sprachen reflexartig von einem Jahrhundertsommer. Vielleicht war das eine sprachliche Unschärfe, da sie noch im Zwanzigsten Jahrhundert feststeckten. Es gab kaum Honig. Der Nektar, den die Pflanzen absonderten, trocknete sofort und konnte von den Bienen nicht aufgenommen werden. Der Honig war dunkler als Kaffee und hielt dem Vergleich mit Corbezzolo-Honig aus Sardinien oder Elba stand.